Anlässlich einer überraschenden Kehrtwende auf bemerkenswerter Seite veröffentlichen wir hier zwei Newsletter von Dagmar Hühne und Holger Balodis
Vorsorgelüge-Newsletter 8/2020 vom 13.10.2020
Krise der privaten Altersvorsorge
Der mit Abstand größte
deutsche Versicherer, die Allianz, überrascht dieser Tage mit zwei Verlautbarungen,
die in ihrer Tragweite nicht überschätzt werden können. Erstens:
Altersvorsorgeprodukte werden ab dem kommenden Jahr nicht mehr mit einer
100-prozentigen Beitragsgarantie verkauft. Das betrifft alle privaten Renten-
und Lebensversicherungen und bedeutet: Auch wer seinen Vertrag regulär
durchhält, bekommt möglicherweise weniger raus als er zuvor eingezahlt hat.
Zweitens: Die Allianz Pensionskasse wird ab 2022 kein Geschäft mehr annehmen.
Pensionskassen gelten als wichtigster Durchführungsweg für Betriebsrenten. Wenn
der Gigant Allianz diesen Weg schließt, läuten die Alarmglocken. Bereits in der
Vergangenheit war bekannt geworden, dass Dutzende Pensionskassen in der Krise
stecken und etliche Anbieter die versprochenen Leistungen bereits gekürzt haben.
Aus all dem folgt: Sowohl die Betriebsrenten als auch die Private Vorsorge mit
Lebensversicherungsprodukten, also die zweite und dritte Säule der
Altersvorsorge, funktionieren offenbar nicht, jedenfalls nicht so, wie man uns
das seit 20 Jahren erzählt hat. Erfunden wurde das Drei-Säulen-Modell, weil
Schröder und Riester um die Jahrtausendwende behaupteten, die gesetzliche Rente
stünde quasi kurz vor dem Ruin. Wie es nun scheint, ist es genau andersherum.
Wer sein traditionelles Geschäft aufgibt, weil er den Kunden nichts mehr
garantieren kann, legt den Offenbarungseid ab. Und die gesetzliche Rente? Die
hat ihre Rentenzahlungen seit 2015 im Westen um 17 Prozent und im Osten um fast
23 Prozent erhöht. Die Niedrigzinsphase, mit der die Allianz ihre Notbremse bei
der privaten Altersvorsorge begründet, richtet in der gesetzlichen Rente
keinerlei Schaden an. Wo im Umlageverfahren jeder Euro quasi sofort wieder
verteilt wird, muss nichts angelegt werden. Der Vorteil dieses gegen Krisen und
Inflation weitgehend immunen Systems sollte inzwischen jedem einleuchten. Die
Politik müsste das gescheiterte Experiment mit dem Drei-Säulen-Modell dringend
beenden und endlich den Rentenwert so erhöhen, dass alle Rentner eine
armutsfeste Rente bekommen. Das ist finanzierbar, wie wir in unserem
8-Punkte-Programm vorgerechnet haben. Jetzt wäre der ideale Zeitpunkt, um
endlich alle Erwerbstätigen in die gesetzliche Rente zu bringen. Anfangen solle
man mit den Berufspolitikern und Selbstständigen und dann Schritt für Schritt
auch die Freiberufler und Beamten integrieren.
Vorsorgelüge-Newsletter Nr. 10/2020 vom 11.11.2020
Rürup: Private Vorsorge ist gescheitert!
Nie hätten wir gedacht, dass wir Schützenhilfe von solch prominenter Seite bekommen: Bert Rürup, der Mentor der Schröder’schen Rentenpolitik, bekennt, dass das von ihm ersonnene Dreisäulenmodell quasi gescheitert ist. In seiner Handelsblatt-Kolumne („Der Chefökonom“) formuliert der frühere Chef des Sachverständigenrats unmissverständlich: „Die Versicherungswirtschaft hatte nun fast zwei Jahrzehnte Zeit, kostengünstige und renditestarke Produkte zur privaten Altersvorsorge zu entwickeln – und ist daran gescheitert.“ Und weiter:
„Hohe Kosten und niedrige Renditen bei der kapitalgedeckten Ergänzungsvorsorge kann und sollte sich Deutschland nicht mehr leisten.“ Es werde Zeit, dass die Politik das Heft in die Hand nähme.
Wumm, das sitzt. Bleibt die Frage, ob Hubertus Heil und Olaf Scholz den Weckruf des Parteigenossen hören und umsetzen. Professor Rürup ist SPD-Mitglied und gilt in der Rentenpolitik seit Schröder als Vordenker der Sozialdemokraten. Und Rürups Analyse ist stichhaltig. Die Versicherer schaffen es immer weniger, den Beitragserhalt zu garantieren. Soll heißen, im Alter können die Kunden privater Vorsorge nicht mehr sicher sein, dass sie zumindest die zuvor eingezahlten Gelder auch zurückbekommen. So hat es die Allianz, Deutschland größter Versicherer, für alle neuen Verträge ab 2021 verkündet. Je nach Anlagemodell können die Kunden zwischen Beitragsgarantien von 60 bis 90 Prozent wählen. Im schlimmsten Falle wären also 40 Prozent der eingezahlten Beiträge futsch. Dazu kommt noch die Geldentwertung. Kann man das noch Altersvorsorge nennen?
Die Bundesregierung und der Gesetzgeber sind gefordert: Statt am Dreisäulenmodell festzuhalten und die hochgradig gescheiterte Riester-Rente durch allerlei Korrekturen aufzuhübschen, muss eine radikale Rückbesinnung auf eine gestärkte gesetzliche Rente erfolgen. Die Renten müssen mindestens um ein Drittel steigen. Wir brauchen einen fairen Bundesanteil, moderate Beitragssatzsteigerungen und eine Rentenkasse, in die alle einzahlen: Selbstständige, Beamte, Freiberufler, Politiker und Top-Manager. So klappt’s.
Für alle, die Bert Rürups erstaunliche Kehrtwende kaum glauben können, hier die Quelle: Handelsblatt online vom 5.11.2020, Bert Rürup und Axel Schrinner: „Die private Altersvorsorge braucht einen Neustart – Vor zwei Jahrzehnten versuchte Walter Riester eine flächendeckende private Altersvorsorge zu organisieren. Dieser Plan ist mittlerweile gescheitert.“
Holger Balodis und Dagmar Hühne: Rente rauf! So kann es klappen, DVS Verlag, 204 Seiten, 18 Euro (ISBN 978-3-932246-98-2), jetzt die leicht überarbeitete 2. Auflage
Sie bekommen das Buch schnell und portofrei entweder direkt über uns (info@vorsorgeluege.de) oder den Frankfurter DVS-Verlag (http://www.dvs-buch.de/).