Bodentruppen in die Ukraine?

Bodentruppen in die Ukraine?

Opfer für einen erneuten Versuch, das russische „Böse“ durch das „westliche Gute“ zu besiegen? – Nein Danke!

Frankreichs Präsident Macron erklärte am 26. Februar 2024, er wolle nicht ausschließen, dass Frankreich mit Boden­truppen in den Ukraine-Krieg eingreifen würde. Auch Kampftruppen sind Bodentruppen.

Als Grund nannte er, dass möglicherweise nur so eine Niederlage der Ukraine verhindert werden könne. Ein Sieg Russ­lands, d. h. die erzwungene Anerkennung der territorialen Gewinne Russlands, würde den Appetit Russlands steigern, die gesamte Ukraine, die baltischen Länder, Polen und schließlich auch Deutschland anzugreifen. Oder, wie Macron sagte, man müsse einem Land, das keine Grenzen respektiert, Grenzen aufzeigen.1 Macron ist Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfte. Sein Vorstoß richtete sich an die Staaten der EU, nicht an die NATO.

Ursula von der Leyen,die Präsidentin der EU-Kommision, und Friedrich Merz, der Vorsitzende der CDU, hatten schon kurz zuvor gemeinsam erklärt, „ein souveränes Europa muss sich selbst verteidigen können und verteidi­gen wollen. Dies gelingt nur, wenn wir … eine echte Verteidigungsunion schaffen“.2 Die Regierungen der baltischen Staaten, Polens und Tschechiens stimmten bisher Macron zu. Kanzler Scholz und die Ampelkoalition lehnen die Ent­sendung deutscher Truppen in die Ukraine grundsätzlich ab, die Führung der CDU/CSU äußert sich ebenso. Eine Vertei­digungsunion, die grundsätzlich den Einsatz von Truppen gegen Russland ausschließt, ist jedoch schwer vorstellbar.

Der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter jedoch, Oberst a.D. im Generalstab der Bundeswehr und ehemaliger Vor­sitzender des Verbandes der Reservisten der Bundeswehr, stimmte Macron zu: „Wir müssen selbst eskalieren, damit Putin deeskaliert.“ Die Taurus-Absage und das kategorische Ausschließen von Bodentruppen seien Fehler und das zei­ge die „Achillesferse“ des Bundeskanzlers. „Man muss Scholz nur drohen – und schon knickt er ein„, erklärte der CDU-Politiker. Scholz mache Deutschland „zum Spielball Putins„. „Wir müssen mehr tun und unsere Bevölkerung darauf vor­bereiten„, so Kiesewetter am 29.2.2024.3 Der CDU-Militärexperte erklärt Scholz letztlich zum Verräter an Deutschland, was immer das bedeutet.

Experten stimmen Macron ebenfalls zu. Der ehemalige Spitzendiplomat Wolfgang Ischinger, früher Leiter der Münch­ner Sicherheitskonferenz, findet es „ein bisschen kühn, aber nicht falsch“, dass Macron sage: „Wenn das so weitergeht, ist es besser, wir schließen gar nichts aus.“ Wenn also die Misserfolge der Ukraine bei der Rückeroberung des Donbass und der Krim so weitergehen, hält er es für richtig, dass Staaten der EU direkt in den Krieg mit Russland eintreten, ohne die NATO hineinzuziehen.4

Dr. Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München, ist einer der von Medien gefragtesten Militärexperten Deutschlands. Er wertete die Aussage von Macron als „sehr richtig, dass man Bo­dentruppen nicht ausschließen solle“. Es zähle zu den Grundprinzipien im Krieg, den Gegner im Unklaren über seine Ab­sichten zu lassen.5 Wieso befindet sich die russische Regierung im Unklaren, wenn EU-Staaten mit dem Ein­satz von Bo­dentruppen drohen? Ist es nicht eher die Bevölkerung der EU-Staaten, die man im Unklaren lässt?

Droht eine Niederlage der Ukraine?

Macron begründete die Bereitschaft zur Entsendung von Bodentruppen mit dem Satz: „Wir werden alles tun, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnt“.6 Jedoch: „Die bittere Wahrheit ist, dass sich trotz massiver Unterstützung durch die USA und Europa mit modernen Waffen eine militärische Niederlage der Ukraine abzeichnet, “ stellt der ehemals höchste deutsche NATO-Offizier und ehemalige Generalinspektor der Bundeswehr Harald Kujat in einem Vortrag vom 17.02.2024 fest.7

  • Der Ukraine gehen die Soldaten aus. Hunderttausende sind gefallen oder verwundet. 800.000 wehrfähige Män­ner sind ins Ausland geflüchtet. Das entspricht dem Gesamtbestand der Armee. Russland hat erheblich größe­re Reserven an Menschen. Die USA werden keine Truppen entsenden, die NATO als Ganzes auch nicht. Müs­sen da nicht die EU-Staaten selber Truppen schicken?
  • Die Sommeroffensive der Ukraine zur Rückeroberung des Donbass und der Krim ist gescheitert. Der jetzige Stellungskrieg schwächt die Ukraine mehr als Russland. Die wirtschaftlichen Schäden sind gigantisch. Der Uk­raine mangelt es an Waffen und Munition.
  • Die US-Regierung (ob Biden oder Ende des Jahres Trump) will die Kosten des Ukrainekriegs mehr und mehr auf die EU und vor allem auf Deutschland verlagern. Auch Frankreich könnte sich nach einem Wahlsieg Marine Le Pens zurückziehen. Ohne die Milliarden aus Washington, Brüssel und Berlin können weder die Mitglieder der ukrainischen Administration noch ihre Soldaten entlohnt, schon gar nicht die westlichen Waffensysteme und die zugehörige Munition bezahlt werden.

Das kompromisslose Kriegsziel der EU-Staaten und der EU ist die vollständige Rückeroberung der Krim und des Don­bass bzw. der vollständige Rückzug russischer Truppen vom ehemaligen Boden der Ukraine als Voraussetzung für Frie­densverhandlungen. Das bedeutet, einen langjährigen Krieg für notwendig zu halten, wenn nötig, eben auch mit Boden­truppen.

Putin für Rückeroberung des sowjetischen Einflussbereichs?

Es wird behauptet, dass territoriale Kompromisse dazu führen würden, dass Russland als nächstes die baltischen Staa­ten, Polen und am Ende auch Deutschland militärisch angreife. „Ein Aufgeben der Ukraine bedeutet … die Ermutigung Putins zum nächsten Krieg“.8 Russland wolle den sowjetischen Einflussbereich der 1950er Jahre in Europa (einschließ­lich der Ex-DDR?) militärisch wiederherstellen. Die Verteidigung des Territoriums der Ukraine diene also der Freiheit auch Deutschlands und Europas insgesamt.

Es wird behauptet, Putin sei der Hitler von heute. Die Lehre aus der Geschichte sei, gegenüber dem Faschismus keine Politik des Appeasement (der beschwichtigenden Zugeständnisse) zu betreiben wie 1938 durch England und Frankreich in München gegenüber Hitler.9 Auch die Hitlers von heute müssen also militärisch angegriffen, besiegt und ent­machtet werden, die Saddam Husseins, Milosevic, Gaddafis und eben auch die Putins.

Es stimmt, dass Putin als großrussischem Ultranationalisten dem ukrainischen Volk das Selbstbestimmungsrecht in Form der staatlichen Trennung von Russland abspricht. Er hält die frühere Politik der Sowjetunion für falsch. Das bedeu­tet jedoch noch nicht, dass Russland das Ziel hätte, die Ukraine ganz zu erobern, zu annektieren und den folgenden Bürgerkrieg zu bestehen. Das wäre mit den von Moskau im Osten stationierten 200.000 Soldaten völlig unmöglich. Es wären dazu vielleicht eine Million Soldaten notwendig.

Panik vor einem drohendemrussischen Überfall erzeugen Warum?

Jeder Überfall Russlands auf einen angrenzenden NATO-Staat würde ferner in der NATO den Bündnisfall auslösen. Das ökonomische und militärische Potential der 32 NATO-Staaten ist dem Potential seines kapitalistischen und imperialisti­schen Konkurrenten Russland um ein Vielfaches überlegen. Hatte Obama Russland nicht als „Regional­macht“ verspot­tet?10 Wie passt das zu den Unterstellungen, Russland wolle Krieg gegen die NATO führen? Ein Angriff Russlands wäre Selbst­mord.

Aber so kann die unglaubliche Aufrüstung Deutschlands mit 100 Milliarden Krediten außerhalb des Haushaltes als not­wendig verkauft werden. CDU-Kiesewetter fordert sogar, zur Vorbereitung auf einen Krieg mit Russland das „Sonderver­mögen“ für die Bundeswehr auf 300 Milliarden Euro aufzustocken. Er findet Zustimmung bei der Truppe, bei Exper­ten und folgt Eva Högl (SPD), der Wehrbeauftragten der Bundeswehr.11

Nur angesichts einer angeblich riesigen Bedrohung kann es als notwendig erscheinen, den potentiellen Aggressor Russ­land unbedingt vollständig zu besiegen. Und sei es in einem zehnjährigen Abnutzungskrieg, koste er, was er wolle. Den Krieg möglich lange fortzusetzen, erscheint so als Selbstverteidigung.

Opfer bringen, um Russland zu erobern?

Die Opfer, die die Bevölkerung Deutschlands dafür zu bringen hätte, wären gigantisch. Es droht eine langfristige deutli­che Senkung des Lebensstandards von Millionen nach dem Motto Kanonen statt Butter. Die Umweltschäden des Kriegs machen alle Klimaziele zunichte. Der Wiederaufbau der zerstörten Ukraine wird in Haushalt der EU und damit auch Deutschlands tiefe Löcher reißen, Wer kommt für sie auf? – Natürlich vor allem die abhängig Beschäftigten.

Die ultranationalistische ukrainische Regierung und ihre Unterstützer in NATO und EU erkennen nur das Selbstbestim­mungsrecht des ukrainischen Volkes an, nicht aber das der ethnischen Russen im Donbass und auf der Krim. Für sie war nicht einmal eine relative Autonomie auf dem Boden der Ukraine vorgesehen. Sie gelten als Helfershelfer Russ­lands, der Verkörperung des „Bösen“, die unterdrückt und ukrainisiert werden müssen. In welcher Form ist ein Zusam­menleben der gegeneinander aufgehetzten Völker auf dem Boden der Ukraine überhaupt noch möglich? Danach, was die Menschen wollen, die in dieser Region leben, fragt im westlichen Reich des „Guten“ keine Regierung und kein Medi­um.

Der Überfall Russlands auf den Donbass war völkerrechtswidrig. Das und die als russische Annexion verfälschte Aus­übung des Selbstbestimmungsrechts der ethnischen Russen auf der Krim rücken als wichtigstes Kriegsziel in den Mittel­punkt, die russische Regierung unter Putin gewaltsam zu stürzen und durch Freunde des Westens zu ersetzen. Oder wie es der ukrainische Botschafter beim Vatikan, Andrij Jurasch, unwidersprochen ausdrückte: „Wenn wir den Krieg be­enden wollen, müssen wir alles tun, um den Drachen zu töten“.12 Wer ist der Drache? Soll Putin getötet werden? Ist Russland der Drache, der getötet werden muss, oder besser der russische Bär, der erlegt werden muss? Es geht eher dar­um, dass man Russ­lands russische Großmachtinteressen „tötet“, d. h. Russland den westlich-imperialistischen Konzer­nen und Kapi­talanlegern öffnet, ihnen militärisch die Vorherrschaft in Russland verschafft und damit den Zugang zu den riesigen Reichtümern Russlands.


1FAZ 9.3.2024

2FAZ 24.02.2024

3www.t-online.de/nachrichten/ukraine/id_100355060/cdu-mann-kiesewetter-man-muss-scholz-nur-drohen-schon-knickt-er-ein-.html

4https://www.fr.de/politik/emmanuel-macron-bodentruppen-ukraine-krieg-reaktionrn-experte-bewertung-zr-92859160.html

5https://bilder.deutschlandfunk.de/5b/10/e6/45/5b10e645-858b-4e2b-97eb-98ea29c43656/interview-masala-28022024-100.pdf

6FAZ 9.3.2024

7https://www.nachdenkseiten.de/?p=111161

8Thomas Holl, Niemals aufgeben, FAZ 11.03.2024

9ebda.

10https://www.welt.de/politik/ausland/article126190584/Obama-verspottet-Russland-als-Regionalmacht.html

11https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-937872

12FAZ 11.03.2024, S.2

Kommentare sind geschlossen.