Schluss mit der Doppelzüngigkeit der Vorstände der DGB-Gewerkschaften
in Fragen des Ukraine-Kriegs
Am 22. Okt 2022, gehen der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften zusammen mit anderen auf die Straße. „Solidarisch durch die Krise“, lautet die Losung. Aber die Bekundungen der DGB-Spitze zu den Ursachen dieser Krise und den Zumutungen, denen die Menschen jetzt konfrontiert sind, sind dürftig und mehr als fragwürdig.
In der gemeinsamen Pressemitteilung des Bündnisses „Solidarischer Herbst“ vom 30.09.22 heißt es, die stark steigenden Preise, die vielen Menschen Sorge bereiten, seien eine „Folge von Putins Angriffskrieg“. Mit einer solchen Deutung, deren ergreifende Schlichtheit an Volksverdummung grenzt und die auch durch Wiederholung nicht wahr wird, will der DGB offenbar von seiner eigenen Befürwortung der westlichen Sanktionspolitik gegen Russland ablenken, die einen erheblichen Anteil an der gegenwärtigen Misere trägt.
Blankoscheck für westliche Sanktionspolitik
Erinnern wir uns: Am 2. März 2022 ist der DGB-Bundesausschuss in seiner Resolution „Krieg sofort beenden! Waffenstillstand jetzt!“ mit großem ‚Hurra!‘ auf die Linie der westlichen Sanktionspolitik gegen Russland eingeschwenkt. Da Putin in Reaktion auf die breite Verurteilung seines schäbigen Krieges nicht sofort eingelenkt habe,
„befürworten der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften die scharfen wirtschaftlichen Sanktionen, die von der Bundesregierung, der Europäischen Union und den westlichen Bündnispartnern gegen Russland verhängt worden sind“. (DGB, 2.3.22).
Das ging verdammt flott und erwies sich als Blankoscheck für den beginnenden Wirtschaftskrieg der westlichen Regierungen gegen Russland, wohlwissend:
„Die nachteiligen Folgen dieser Sanktionen werden auch an uns selbst nicht spurlos vorübergehen.“ (DGB, 2.3.22)
Genauso ist es gekommen – mit tatkräftiger Unterstützung der Chefetagen der DGB-Gewerkschaften. Von der eigenen Verantwortung versucht man abzulenken und im Sinne des Spurenverwischens „Putins Angriffskrieg“ dafür haftbar zu machen.
Es gibt genügend Anzeichen dafür, dass die westliche Sanktionspolitik als Mittel zur Beendigung des Ukraine-Kriegs krachend gescheitert ist. Nicht nur das Andauern des Krieges belegt das. So berichtet etwa die NZZ vom 30.09.22 („Rohstoffe als Waffen“), dass sich Russlands Einnahmen aus dem Verkauf fossiler Brennstoffe seit Beginn des Überfalls auf die Ukraine nach Angaben des finnischen Thinktanks „Centre for Research on Energy and Clean Air“ auf 158 Milliarden Euro belaufen, dem aber geschätzte Kriegsausgaben von „nur“ rund 100 Milliarden Euro gegenüberstehen. (Detaillierter dazu: Wolfgang Lieb, „Sieg im ‚Wirtschaftskrieg‘?“, https://www.blog-der-republik.de/sieg-im-wirtschaftskrieg/).
Doch in seiner Erklärung „Echt gerecht – solidarisch durch die Krise!“ vom 22.09.22 behauptet der DGB-Vorstand weiterhin unverdrossen: „Die Sanktionen gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine sind gerechtfertigt und notwendig“. Begründung? Keine!
Dass es zur Frage der westlichen Sanktionen gegen Russland einen demokratischen Willensbildungsprozess innerhalb der DGB-Gewerkschaften gegeben hätte – davon ist nichts bekannt. Keine Woche nach dem schäbigen Angriff Russlands auf die Ukraine war die Position des „DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften“ in dieser Frage bereits fix und fertig. Innergewerkschaftliche Debatten im Vorfeld? Fehlanzeige!
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist wie auch andere weltpolitische Ereignisse ohne Zweifel völkerrechtswidrig. Dagegen gilt es seine Stimme zu erheben.
►Aber hat man je davon gehört, dass der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften Sanktionen
gegen die USA und andere Nato-Mitgliedsländer wegen der ohne UN-Mandat erfolgten
völkerrechtswidrigen Intervention westlicher Staaten in Jugoslawien gefordert hätten?
► Hat man je davon gehört, dass der DGB wegen des völkerrechtswidrigen Irakkriegs der USA (so ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2005) Wirtschaftssanktionen gegen die USA und die sie unterstützenden Staaten gefordert hätte?
► Hat man jemals vernommen, dass sich der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften wegen der israelischen Siedlungspolitik in den besetzten Palästinensergebieten, die von der Bundesregierung als völkerrechtswidrig einstuft wird, dem BDS („Boycott, Divestment and Sanctions“) angeschlossen hätte? Wohl kaum!
Die Doppelmoral des DGB-Vorstands ist hier mit Händen greifbar und wirft Fragen nach den Interessen auf, die hier im Spiel sind.
Waffenbrüder – zur Sonne, zur Freiheit?
Ein ähnliches Herum-Eiern der DGB-Spitze kann man in der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine bestaunen.
In seiner ersten Stellungnahme zum Ukraine-Krieg (25.02.2022) erklärte der DGB noch: „Waffenlieferungen in die Konfliktregion lehnen der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften strikt ab.“ Eine Woche später war in der DGB-Resolution vom 2.3.2022 zu lesen: „Die Bundesregierung hat zurecht verteidigungspolitisch schnell auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine reagiert.“ Der DGB begrüßte nun eine „militärische Friedenssicherung“, die allerdings nicht „zulasten des sozialen Friedens erkauft werden“ dürfe. Am 30.4.22 erklärte der damalige DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann in einem Tagesspiegel-Interview vom 30.4.2022: „Den Selbstverteidigungswillen der ukrainischen Bevölkerung können wir aber nicht ignorieren. Deshalb muss man sie unterstützen, damit sie ihr Land, ihre Bevölkerung schützen können. Aber ohne dabei das Risiko einer weiteren Eskalation einzugehen. Deshalb finde ich das bedachte Vorgehen des Bundeskanzlers richtig.“ Und Hoffmanns Nachfolgerin an der DGB-Spitze, die ehemalige SPD-Generalsekretärin Fahimi, verteidigte dann offen das 100-Miliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr-Aufrüstung als „notwendige Beschaffungen“: „Wenn wir ‚ehrlich mit uns selbst sind, dann müssen wir eingestehen, dass diese Zeit neue Antworten braucht‘. Zweifelsfrei habe die Ukraine jedes Recht auf Selbstverteidigung. ‚Für mich ist es deswegen auch richtig, sie mit Waffenlieferungen zu unterstützen.‘“(junge welt, 10.5.22)
Auch hier eine veritable 180-Grad-Wende des „DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften“: Verabschiedung von der Einheitsgewerkschaft und hin zur sozialdemokratischen Richtungsgewerkschaft – im Schweinsgalopp.
Jede*r sollte sich selbst fragen: Haben sich Wirtschaftssanktionen und Waffenlieferungen etwa als deeskalierend erwiesen? Oder erweisen sie sich nicht vielmehr als Brandbeschleuniger des Krieges, als Teil der Eskalations-Spirale?
Die Ukraine ist längst zum Schlachtfeld von Großmächten verkommen, die dieses Land von allen Seiten mit Waffen vollpumpen. Dabei geht es schon lange nicht mehr um „Selbst“-Verteidigung, sondern um einen wechselseitigen „regime change“ durch fortgesetzte Kriegstreiberei. Die Zeche zahlen die Menschen diesseits und jenseits der Frontlinie – mit ihrer Zukunft, mit ihrem Leben.
Haben die Mitglieder des DGB es nötig, sich bei diesem schäbigen Spiel die Hände schmutzig zu machen? Wohl kaum. Es kann also nicht darum gehen, die Kriegs- und Krisenlasten hierzulande „fair zu verteilen“, sondern deren wichtigste Ursache, den Krieg selbst, umgehend zu stoppen. Allein das ist „Solidarität mit der Ukraine“! Alles andere tritt den Internationalismus, dem sich die Gewerkschaften einmal verpflichtet sahen, mit Füßen.
Gerhard Walentowitz,
Mitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW Hessen)
und bei KLARtext e. V.