Die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit – ein besonders schweres Armutsrisiko

Die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit – ein besonders schweres Armutsrisiko

Im Jahr 2000 wurde die Rente wegen „Berufs- und Erwerbsunfähigkeit“ gründlich reformiert. An ihre Stelle trat die Rente wegen „teilweiser oder voller Erwerbsminderung“. Neu darin ist vor allem, dass eine volle Erwerbsminderungsrente nur erhält, wer weniger als drei Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten kann. Wer bis zu sechs Stunden belastbar ist, kann eine Teilrente erhalten, muss aber für Einkommen darüber hinaus auf dem Arbeitsmarkt eine Arbeit suchen. Dabei ist nahezu jede Tätigkeit zumutbar. Einen Berufsschutz gibt es nicht mehr. Diese Neuerung wurde hoch gepriesen. Das Ziel war, die Zahl der FrührentnerInnen zu begrenzen und Kosten einzusparen. Das Ziel wurde erreicht. Die Anzahl der Frühverrentungen sank von 279.668 Fällen im Jahr 1996 auf 173.996 Fälle im Jahr 2016 (Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, DRV-Schriften Band 98, 2018, S.27 Zitiert: RvME 2018). Aber nicht nur die Zahl der Rentenanträge, auch die Rentenzahlbeträge sanken erheblich. 1996 betrug der durchschnittliche Zahlbetrag der Frührente 713,63 Euro. 2016 lag er bei 710,40 Euro ( RvME, 2018, S.30). Das sind nominal 2,43 Prozent weniger als vor 20 Jahren. Die offizielle Inflationsrate im gleichen Zeitraum betrug 25,8 Prozent. Also ist die heutige durchschnittliche Erwerbsminderunsrente 28,23 Prozent niedriger als die Berufs-und Erwerbsunfähigkeitsrente vor der „Reform“. Da die Inflationsrate für einkommensschwächere Bevölkerungsschichten noch deutlich höher ist als der Durchschnittswert, darf mit Recht behauptet werden, dass die Renten der Erwerbsgeminderten seit 1996 über 30 Prozent an Kaufkraft eingebüßt haben.
Ein Mittel der Kürzung war die Einführung von Abschlägen bei der Frührente. Maximal 10,8 Prozent können von der Rente wegen zu frühen Rentenbeginns einbehalten werden. Das trifft fast 95 Prozent aller FrührentnerInnen. Der durchschnittliche Abschlag ist 90,49 Euro (Rentenversicherung in Zeitreihen, Oktober 2018, S.83 Zit.: RViZR). Es ist daher kein Wunder, dass rund 30 Prozent aller FrührentnerInnen Grundsicherung beantragen müssen. Daran werden auch die jüngsten Reformen der Bundesregierung kaum etwas ändern. Es wurde beschlossen, ab 1. Januar 2019 die Zurechnungszeit für Neuzugänge um 3 Jahre und 5 Monate zu verlängern und damit an das gegenwärtige Renteneingangsalter anzupassen. Diese Verlängerung erbringt bei dem durchschnittlichen Entgeltpunkt von 0,743 für einen vorzeitigen Rentenbeginn von 33,71 Monaten (RViZR. S.134) eines/r Frührentners/-rentnerin ca. 79 Euro. Damit stiege die durchschnittliche Neurente für Renten wegen voller Erwerbsminderung von 754 Euro (2017) auf ca. 833 Euro. Damit liegt die durchschnittliche Frührente dann knapp über der Grundsicherung, reicht aber immer noch kaum zum Leben. Die Bestandsrentner sind von der  Anpassung sowieso ausgeschlossen.

Was ist zu tun?

Unsere Forderung nach einer Mindestrente von 1.050 Euro hat für Erwerbsgeminderte große Bedeutung. Die große Mehrheit der Erwerbsgeminderten würde im Alter davon profitieren. Aber auch diejenigen Erwerbsgeminderten, die noch nicht das gesetzliche Rentenalter erreicht haben, brauchen dringend Verbesserungen. Grundsätzlich muss die Zurechnungszeit immer dem jeweiligen gesetzlichen Stand des Renteneintrittsalters angepasst werden. Insofern ist die gegenwärtige Reform zu begrüßen. Die Anpassung müsste aber für alle Erwerbsgeminderten gelten und nicht nur für Neurentner. Die Abschläge von maximal 10,8 Prozent sind willkürlich und müssen endlich gestrichen werden. Würden diese beiden Maßnahmen, Anpassung der Zurechnungszeit an das allgemeine Renteneintrittsalter und Streichung der Abschläge, durchgeführt, stiegen die Renten wegen voller Erwerbsminderung im Durchschnitt um ca. 178 Euro. Die Summe ergibt sich aus der Verlängerung der Zurechnungszeit von 3 Jahren und 5 Monaten ( das entspräche einem Wert von 88,39 Euro im Durchschnitt für den gesamtem Zeitraum ohne Abschläge) und der Aufhebung der Abschläge von 90,49 Euro.Die Bestandsrenten für volle Erwerbsminderung betrügen dann durchschnittlich ca. 968 Euro, während die Neuzugänge nach einer solchen Reformdurchschnittlich ca. 933 Euro erhielten. Auch das würde noch nicht genügen, um eine Mindestrente von 1.050 Euro zu erreichen. Deswegen ist es grundsätzlich notwendig, eine grundlegende Reform des Behindertenrechts zu verlangen.

T.W.

Zur Zeit ist im Internet ein Petition gestartet mit den folgenden Forderungen:

  1. Eine Gleichstellung aller Erwerbsminderungsrentner (Bestands-u. Neurentner).
  2. Eine Rentenreform, die für alle gilt. Eine Stichtagsregelung lehnen wir ab, damit keine Menschen auf Grund einer Erkrankung mehr diskriminiert und im Namen des Gesetzes in die Armut geschickt bzw. in Armut gehalten werden.
  3. Rentenabschläge bei Erwerbsminderung (sind) abzuschaffen.
  4. Die Rückkehr zur Erwerbs-u.Berufsunfähigkeitsrente.
  5. Eine Erwerbstätigenversicherung, in die alle einzahlen – analog zum österreichischen Modell.

Rente–zum-Leben ruft dazu auf, die Petition zu unterstützen., auch wenn die Forderung nach 1.050 Euro Mindestrente fehlt. Die Petition istaufzurufen mit:
https://www.openpetition.de/petition/online/erwerbsminderungsrente-gleiches-recht-fuer-alle

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