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Rainer Roth Nun haben wir den Hartz - Wer missbraucht hier wen? GEW Aschaffenburg-Miltenberg und attac Aschaffenburg, 1. Juni 2005 Inhalt: I) Hartz IV - Bekämpfung des Missbrauchs? II) Wie wird der "Missbrauch Langzeitarbeitslosigkeit" vom Kapital bekämpft? VI) Noch mal zum Thema Missbrauch I) Hartz IV - Bekämpfung des Missbrauchs? In der Regierungserklärung vom 14.03.2003 drohte Schröder, das kleinere Übel gegenüber Merkel: "Wir setzen damit (mit der Agenda 2010, R.R.) ein deutliches Signal für diejenigen Menschen in unserer Gesellschaft, die länger als zwölf Monate arbeitslos sind. Niemand ... wird es künftig gestattet sein, sich zu Lasten der Gemeinschaft zurückzulehnen." Zu Lasten der "Gemeinschaft": der Gemeinschaft der Kollegen von Daimler mit Vorstandschef Schrempp? Sich zurückzulehnen statt in die Hände zu spucken und zu arbeiten - das ist offensichtlich Missbrauch. Langzeitarbeitslosigkeit erscheint so als Produkt der individuellen Faulheit der Arbeitslosen, als Missbrauch. 1970 gab es rd. 10.000 Langzeitarbeitslose. Heute sind es weit über zwei Millionen. Die Herrschenden sehen darin nur einen unerträglichen Beleg für wachsende Faulheit bzw. einen Beleg für eine zu großzügige Hängematte, die der Sozialstaat für Arbeitslose aufgespannt hat. Diese Leute haben Abitur. Die Stammtische haben ihren Ausgangspunkt weniger im Gasthof zum Goldenen Hirschen, als im Kanzleramt und in den Prunkbauten der Arbeitgeberverbände. In Wirklichkeit ist die wachsende Langzeitarbeitslosigkeit Produkt einer ökonomischen Entwicklung. Sie ist vor allem das Produkt gesunkener Nachfrage des Kapitals nach Arbeitskraft. In den Ländern, in denen maximal ein halbes Jahr Alg oder gar keins gezahlt wird, nimmt die Langzeitarbeitslosigkeit die Form langandauernder Unterbeschäftigung an, ist also offiziell keine Langzeitarbeitslosigkeit. -> Das Kapital braucht immer weniger
Arbeitskraft, um sich zu vermehren. Die Produktivität steigt und damit sinkt
die Nachfrage nach Ware Arbeitskraft relativ zum steigenden Umfang des Kapitals.
Das ist der Hauptgrund für Arbeitslosigkeit, nicht die Verlagerung von Kapital
ins Ausland. Die Produktivität spiegelt sich Gerade die Produktivität von Industriearbeitern stieg rasant. 2002 betrug sie, gemessen am Umsatz pro Arbeiter, mit 346.341 Euro mehr als das Doppelte von 1991. Folge: mehr und mehr Arbeiter werden arbeitslos und ihr Nachwuchs ebenso. 60 % der Arbeitslosen sind Arbeiter. Die Arbeitslosenquote von Arbeitern in Deutschland betrug im Jahr 2003 rd. 18,4 %. (eigene Berechnungen nach Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarkt 2003, Nürnberg 2004, 154 und BMGS, Statistisches Taschenbuch 2004, Tab. 2.6) Die Arbeitslosenquote der Angestellten betrug nur 8,3 %. 2003 waren 12 Mio. Arbeitskräfte dauernd oder zeitweise arbeitslos gemeldet (4,4 Mio. am Ende des Jahres plus 7,6 Mio. im Laufe des Jahres). Dazu kommen 1,4 Mio. Arbeitsunfähige Arbeitslose, die ständig aus der Statistik herausfallen, weil sie während ihrer Krankheit nicht vermittelbar sind, plus 2,7 Mio. Arbeitslose in der sogenannten Stillen Reserve. Alles zusammen ergibt 16 Mio. Personen, die 2003 arbeitslos waren. (berechnet nach Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarkt 2003, Nürnberg 2004) Je weniger Arbeitskräfte das Kapital im Zuge der technologischen Revolution braucht, desto mehr werden insbesondere die sogenannten Problemgruppen überflüssig, die Minderleister (im Gegensatz zu den Höchstleistern), auch Schwachperformer genannt (im Gegensatz zu den Starkperformern). Aus ihnen kann nicht so viel unbezahlte Arbeit, d.h. nicht so viel Gewinn, herausgeholt werden. "Zu den sogenannten 'Problemgruppen' auf dem Arbeitsmarkt zählen insbesondere Jüngere (d.h. bis 25 Jahre, R.R.), Ältere (d.h. ab 45 Jahre, R.R.), Frauen (weil die Verwertung ihrer Arbeitskraft durch ihre Kinder gestört wird, auch die zwischen 25 und 45 Jahren sind Problemgruppen - gerade die, R.R.), Ausländerinnen und Ausländer sowie auch Schwerbehinderte." (Statistisches Bundesamt, Datenreport 2004, Bonn 2004, 115) Früher waren es auch noch die Ungelernten. Eigentlich kann das Kapital nur mit Männern zwischen 25 und 45 richtig was anfangen, die qualifiziert sind und keine Ausländer. Ab dem Alter von 45 Jahren sind die Hälfte der Arbeitslosen oder mehr länger als ein Jahr arbeitslos. (2. Armuts- und Reichtumsbericht, Bundestag- Drucksache 15/5015 vom 03.03.2005, 100) Die Bezugsdauer von Sozialhilfe stieg mit wachsendem Alter an. Bei Personen zwischen 50 und 59 Jahren betrug sie im Jahr 2003 im Schnitt 41 Monate oder etwa 3 1/2 Jahre. Eine 44-jährige Frau, die als Stationshilfe entlassen wurde, weil ihre Arbeitsstelle bankrott ging, und sich erfolglos auf Büro-, Lager und Verkäufertätigkeiten beworben hatte, sagte: "Aber mit 44 Jahren ist man wohl einfach zu alt." (Stern 2/2005, 53) Vor allem Ältere werden vom Kapital aussortiert. Und die Altersgrenze verschiebt sich nach unten. Langzeitarbeitslosigkeit ist in der Regel keine Entscheidung, die man freiwillig trifft, weil man sich zurücklehnen will, sondern ein Produkt der Kapitalverwertung. Frage: Ist das Kapital, das so viele Menschen überflüssig macht, nicht selbst eine Problemgruppe? II) Wie wird der "Missbrauch Langzeitarbeitslosigkeit" vom Kapital bekämpft? "Missbrauch" wird vom Kapital immer mit Leistungskürzungen für alle bekämpft. Eben weil der Bezug selbst schon als Missbrauch betrachtet wird. Rogowski beklagt sich in seinem Buch "20 Thesen für ein neues Wirtschaftswunder": "Die Reichen müssen die Armen alimentieren." Das mögen sie nicht. Sie kaufen lieber Porsches. Aber wir mögen es auch nicht, wenn die Arbeitenden mit ihrer unbezahlten Arbeit die Reichen alimentieren. Die Leistungskürzungen bei Hartz IV , die der
"Missbrauchsbekämpfung" dienen, haben u.a. folgende Formen: Das muss mit Missbrauchspropaganda vorbereitet werden. Sozialhilfeempfänger fahren dicke Autos, haben Häuser in der Karibik, können arbeiten, wollen aber nicht, stellen Anträge, obwohl sie die Sachen schon haben usw.. Dieses Bild wird von Bertelsmann, Springer usw. verbreitet. Sie haben also zu viel. Man kann ihnen ruhig etwas kürzen, um sie aus der Hängematte oder aus dem Sofa zu werfen. Der ehemalige BDI-Präsident Rogowski sieht den Missbrauch schon in der Antragstellung selbst. ER beklagt sich darüber, dass vor Einführung von Alg II die Sozialhilfeempfänger die Sozialämter mit Anträgen auf "Fernseher, Sofas, Schränke, Computer etc. überschwemmten, obwohl sie nur Rechtsansprüche geltend gemacht haben. Noch schlimmer: "Er (der Staat, R.R.) (lässt, R.R.) sie sogar Geld für Kondome beantragen." ... "Man überlege einmal," sinniert er, "welche Antragsflut für solche Einzelleistungen bearbeitet werden muss, bei 2,8 Mio. Sozialhilfeempfängern." Der rechtschaffene Mann (im Zivilberuf Aufsichtsrat einer schwäbischen Maschinenbaufirma und Mitglied der Elite Deutschlands) meint, dass auch die 1,6 Mio. Frauen unter den 2,8 Mio. Sozialhilfeempfänger Kondome beantragen konnten. Und er meint, dass unter den 1,2 Mio. männlichen Sozialhilfeempfänger auch die rd. 500.000 Jungen unter 15 Jahren (Statistisches Jahrbuch 2004, 204) vom Sozialamt Kondome bekommen. Das muss man sich wirklich mal überlegen, was das für eine Antragsflut der 2,8 Mio. Empfänger gewesen sein muss. Der Mann sagt nicht, dass Kondome im Wesentlichen nur für HIV-Infizierte bezahlt wurden. Und es ärgert ihn, dass das heute noch möglich ist. Stimmung machen für Leistungskürzungen - das reicht. Sachlichkeit ist nicht zu erwarten, wenn es letztlich um Profit geht. Der Zweck heiligt die Mittel. Wieso geht es bei Sozialhilfe um Profit? "Jeder findet Arbeit, wenn man zulässt, dass der Lohn weit genug fällt, denn je weiter er (der Lohn) fällt, desto attraktiver wird es für die Arbeitgeber, Arbeitsplätze zu schaffen, um die sich bietenden Gewinnchancen auszunutzen." (Hans-Werner Sinn, Ist Deutschland noch zu retten, München 2003, 93) Es geht also um die Ausdehnung von Profitchancen durch Lohnsenkungen. Die Sozialhilfe definiert eine Art Mindestlohn. "Die Sozialhilfe ist eine absolute Untergrenze für die Tariflohnstruktur, die die notwendige Lohnspreizung verhindert und das gesamte Lohngefüge im Niedriglohnbereich durcheinanderbringt." (Sinn ebda. 461) Die Sozialhilfe lässt es nicht zu, das gesamte Lohnniveau abzusenken, ebenso wenig wie die Flächentarifverträge. Beides muss vom Standpunkt des Kapitals aus ausgehöhlt und letztlich abgeschafft werden. Dazu muss man Arbeitslose und Beschäftigte spalten und die Beschäftigten so konditionieren, dass sie bei Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe zuerst an Missbrauch denken. Diese Art Präparierung von Gehirnen funktioniert auch noch leidlich. Viele LohnarbeiterInnen glauben noch, sie hätten etwas davon, wenn man den "Missbrauch" bei Arbeitslosen mit Leistungskürzungen für alle bekämpft. Sie schneiden sich damit letztlich ins eigene Fleisch. Es gehört zu unseren Aufgaben klarzumachen, dass sich die Missbrauchspropaganda in Wirklichkeit nicht gegen Florida-Rolf oder Karibik-Knut richtet, sondern gegen alle LohnarbeiterInnen. Sie ist ein Mittel, beschäftigte gegen arbeitslose LohnarbeiterInnen aufzuhetzen, ein Mittel zur Lohnsenkung und Profiterhöhung. (vgl. Rainer Roth, Sozialhilfemissbrauch - wer missbraucht hier wen? Frankfurt 2004) Sinn sagt: "So wie der Apfelpreis umso niedriger sein muss, je größer die Apfelernte ist, damit alle Äpfel ihre Abnehmer finden, muss auch der Lohn der Arbeitnehmer ... umso niedriger sein, je mehr es von ihnen gibt, damit keine Arbeitslosigkeit entsteht. Das ist eine bloße Beschreibung der Funktionsweise der Marktwirtschaft, die man akzeptieren muss, wenn man diese Wirtschaftsform überhaupt will." (Sinn 2003, 177f.) Sinn stellt die Systemfrage, obwohl viele LohnarbeiterInnen noch keinen einzigen Gedanken daran verschwenden, sondern darauf hoffen, dass das Kapital irgendwann doch zur Vernunft kommt und die soziale Gerechtigkeit walten lässt. a) Offiziell stehen mit dem Regelsatz von 345 Euro am Tag für Essen und Trinken 4,23 Euro , (0,88 Euro plus je 1,57 Euro für Mittag- und Abendessen plus 0,21 Euro) zur freien Verfügung; 34 Cent für Kneipenbesuche, ebensoviel für Zeitungen/Zeitschriften, 7 Cent pro Tag fürs Telefonieren, 15 Cent für Sport und Freizeitvergnügen am Tag, 60 Cent für öffentliche Verkehrsmittel, eine Zigarette am Tag (Hartz IV ist etwas für Nichtraucher) und keinen Tropfen Alkohol, um sein Elend zu ertränken. (vgl. Rainer Roth, Harald Thomé, Leitfaden Alg II/Sozialhilfe von A-Z, Frankfurt 2005, zu beziehen über www.agtuwas.de ) b) Die Anhebung des Regelsatzes erscheint als Steigerung des Regelsatzes. Das ist eine optische Täuschung. Der neue Regelsatz setzt sich zusammen aus dem Regelsatz plus den in den Regelsatz einbezogenen früheren einmaligen Beihilfen. Aber der Eckregelsatz eines Alleinstehenden hätte allein um rd. 40 Euro höher sein müssen, weil sich die Verbrauchsgewohnheiten von 1983 bis 1998 geändert hatten (z.B. bei Freizeit, Kommunikation usw.). Um das zu verhindern, wurden andere Positionen (wie Strom, Telefon usw.) nicht mehr zu zu 100 % wie beim alten Regelsatz, sondern nur noch zu 85 % oder 60 % anerkannt. (ausführliche Kritik dazu vgl. Roth, Thomé 2005, 169-189) Vorgabe war: der Regelsatz darf nicht steigen. Die Senkung besteht also darin, dass er relativ zum gestiegenen Bedürfnisniveau abgesenkt wurde. Aber die Bundesregierung verspricht dennoch: "Der neue Regelsatz verbessert die Situation der betroffenen Menschen." (Roth, Thomé, Leitfaden Alg II/Sozialhilfe 2005, 182) c) Die früheren einmaligen Beihilfen werden jetzt in monatlichen Teilbeträgen ausgezahlt, die man ansparen soll. Wenn die Bedarfsituationen auftreten, sind die entsprechenden Beträge oft aber noch nicht angespart. Auch das führt zu Regelsatzsenkungen. d) Der Regelsatz entspricht immer nicht gegenwärtigem Bedürfnisniveau. Beispiel Kfz. Es wird zwar bei Erwerbslosen in der Regel als angemessen anerkannt. (Vorher gab es nur Missbrauchsgebrüll, Rasterfahndung, Datenabgleich usw.) Aber: im Regelsatz ist dennoch kein Cent für die Unterhaltungskosten eines Kfz enthalten. Insgesamt werden nur rund 18 Euro für öffentliche Verkehrsmittel anerkannt, aber nicht die 18 Euro, die untere Verbrauchergruppen für die Unterhaltskosten eines Kfz im Durchschnitt ausgeben. Aus all diesen Gründen fordert der Paritätische Wohlfahrtsverband die Erhöhung des Regelsatzes auf 419 Euro, indem er die Kürzungen herausrechnet. e) Aber das reicht nicht: Der Regelsatz wurde auf der Basis des Verbrauchsverhaltens von alten Frauen über 70 Jahren ausgerechnet. Sie stellen mehr als die Hälfte der Vergleichsgruppe. Der Regelsatz muss auf der Basis der notwendigen Bedarfs von erwerbsfähigen Personen ausgerechnet werden. Daraus folgt die Notwendigkeit von Erhöhungen. f) Die Ausgaben für Ernährung, die im übrigen gegenüber dem alten Regelsatz abgesenkt worden sind, reichen nach den vorliegenden Untersuchungen nicht bis zum Monatsende für eine gesunde Ernährung. Daraus folgt, dass der Regelsatz entsprechend angehoben werden muss. (es fehlen ein Drittel bzw. rund 65 Euro für Ernährung.) g) Der Regelsatz wird auch durch Miet- und Heizkostenniveau beeinflusst. Was nicht als angemessen anerkannt wird, kann zu faktischen Regelsatzkürzungen führen. h) Die größten "Fehlanreize" haben wohl bei Kindern bestanden, denn bei Schulkindern wurden die Leistungen auch absolut gesenkt. Die 7 bis 14-jährigen hatten 2004 im Schnitt 232 Euro, heute nur noch 207 Euro. Die 15-17-jährigen hatten 319 Euro, heute nur noch 276 Euro. Alles wegen der Kinderfreundlichkeit. Forderung: Insgesamt 500 Euro plus angemessene Miete und Heizkosten wäre o.k.. Das ergäbe 900 bis 1.000 Euro und entspräche der offiziellen Armutsgrenze, die bei 938 Euro liegt. Das Grundeinkommen für Erwerbslose muss ohne Bedürftigkeitsprüfung gezahlt werden, da die Arbeitslosigkeit vom Kapital verursacht wird und das Kapital auch für die Folgen aufkommen soll. Nicht die Beschäftigten mit ihren "zu hohen" Löhnen oder die Arbeitslosen mit "Leistungsmissbrauch" sind die Verursacher, die für die Arbeitslosigkeit aufkommen müssen, sondern das Kapital selbst. Es versteht sich, dass allein aus diesem Grunde die Gewinnsteuern wieder auf das früher geltende Niveau, also 53 % oder 56 %, angehoben werden müssten. Diese Forderung nützt auch den Beschäftigten. Denn je höher das Niveau von Alg II (Sozialhilfe), desto höher der faktische Mindestlohn. Beides gehört zusammen. Die FTD schrieb: "Die Einführung tariflicher Mindestlöhne wird die gerade erst implementierte (eingeführte), wichtigste Arbeitsmarktreform der Bundesregierung konterkarieren (hintertreiben, unwirksam machen, R.R.). Denn Chancen haben die häufig gering qualifizierten und weniger produktiven Langzeitarbeitslosen nur, wenn für sie eine Entlohnung unterhalb der untersten Tarifgruppen möglich ist." (14.04.2005) Das Kapital sieht durchaus den Zusammenhang zwischen Grundsicherung und Lohn. Der Mindestlohn müsste bei wenigstens zehn Euro die Stunde liegen. Das ist die Forderung des Frankfurter Appells und vieler Arbeitslosengruppen und lokalen Bündnisse. Beides muss zusammen vertreten werden, nicht nur ausschließlich ein Grundeinkommen (einseitig von Arbeitslosen aus) oder nur ein gesetzlicher Mindestlohn (einseitig von Beschäftigten aus). Die Forderungen müssten so gestaltet sein, dass Erwerbslose und Erwerbstätige ein Bündnis eingehen können. Damit können wir der Spaltung durch die Missbrauchspropaganda entgegenwirken. Schon Eichel und Clement wollten den Eckregelsatz um 25 % senken. Das war damals die Forderung des DIHK. Sie kamen nicht durch. Sie hatten sich zu viel vorgenommen. Schröder überlässt diesen Job jetzt der Frau Merkel. Er schafft's nicht mehr. SPD hat Regierungsübernahme durch CDU selbst vorbereitet. Das Kapital will die Senkung des Regelsatzes immer noch. Ex-BDI-Präsident Rogowski trott für Hartz V bis VIII ein, wobei Hartz VIII die deutliche Absenkung des Regelsatzes bedeutet. Rogowski will "Hartz verdoppeln" und u.a. so ein neues Wirtschaftswunder einläuten. Das Kapital will die Sozialhilfe für Erwerbsfähige am liebsten beseitigen. Dann wäre der Druck am größten. So wie in den USA. Deshalb: Die Bertelsmann-Stiftung, Inhaberin des Bertelsmann-Konzerns, ist für die völlige Abschaffung des Regelsatzes von 345 Euro. Sie will nur noch die Miete zugestehen. (F. Breyer, W. Franz, S. Homburg, R. Schnabel, E. Wille, Reform der sozialen Sicherung, Berlin 2004, 42; vgl. Flugblatt von Klartext e.V. Gewinnspiel 2005 -> www.klartext-info.de ) Hunger und die Drohung mit Wohnungslosigkeit sollen die Arbeitsmotivation fördern. Chefökonom Sinn ist vorerst "großzügiger". Er will den Regelsatz vorerst nur um ein Drittel senken. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung will 30 % weniger, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sowie die CDU/CSU treten für die Senkung des Regelsatzes um 25 % ein. Also: die Vertreter des Kapitals sehen Null Cent bis 3,17 Euro täglich für Ernährung vor. Gesetzlicher Mindestlohn statt gesetzlichem Kombilohn Mit Hartz IV werden auf breiter Front Löhne zumutbar, die noch unterhalb des Niveaus von Hartz IV liegen und mit Arbeitslosengeld II aufgestockt werden müssen. Obwohl die Bundesregierung getönt hat: "Gerecht ist, Menschen in Arbeit zu bringen, statt sie dauerhaft von staatlichen Zahlungen abhängig zu machen." (agenda 2010, November 2003, 10) Diese Entwicklung war schon bei Sozialhilfe zu sehen, die hauptsächlich Arbeitslosenunterstützung war (zu 50 %), aber in wachsenden Maße auch Lohnzuschuss. Je niedriger der Lohn, desto höher wird der Zuschussbedarf. Entscheidende Stellschraube ist dabei die Höhe des anrechnungsfreien Arbeitseinkommens. Der Standpunkt des Kapitals lautet: "Je höher die Zuverdienste ausfallen, die der Staat anrechnungsfrei lässt, desto besser." (FTD 14.04.2005) Das Kapital kombiniert die Forderung nach drastischer Senkung der Unterstützung mit massiven Forderungen nach Erhöhung des nicht anrechenbaren Arbeitseinkommens. Die fortgeschrittensten Vertreter des Kapitals wie Herr Sinn sind schon bei anrechnungsfreien 400 Euro. Darüber hinaus sollen 50 % anrechnungsfrei bleiben. Der Bertelsmann-Konzern tritt für ein anrechenfreies Arbeitseinkommen in Höhe des Regelsatzes ein, also 345 Euro. Die Arbeitslosen sollen sich den Regelsatz selbst erarbeiten. Darüber hinausgehende Arbeitseinkommen soll man zur Hälfte behalten können. Bei einem durchschnittlichen Alg II von 650 Euro könnte man also mit einem Minijob von 400 Euro auf einen Kombilohn von 1.000 bis 1.050 Euro kommen. Die staatliche Lohnsubvention läuft für den Sachverständigenrat (Rürup) bei etwa 1.000 Euro netto aus, von denen 500 Euro vom Staat und 500 Euro vom Unternehmen bezahlt werden. "Es dürfte dann (bei höherem anrechnungsfreien Arbeitseinkommen, R.R.) einen Abwärtsdruck auf die Stundenlöhne geringqualifizierter geben," kommentierte die FTD. (21.03.2005) Die Bruttolöhne können also fallen, ohne dass die Nettozahlungen an die LohnarbeiterInnen fallen. Die Vertreter des Kombilohns regen sich über die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn auf bzw. über tarifliche Mindestlöhne, die per Gesetz für allgemeinverbindlich erklärt werden. Sie regen sich auf, weil sie solche Löhne zahlen müssten. Sie selbst fordern aber ebenfalls gesetzliche Mindestlöhne. Denn der vom Kapital angestrebte Kombilohn (negative Einkommensteuer) ist nichts Anderes als eine Spielart des gesetzlichen Mindestlohns. Die Höhe des anrechnungsfreien Betrags wird ja gesetzlich festgelegt. Unterschied ist nur, dass wachsende Teile dieses "Lohns" nicht vom Kapital selbst, also den Käufern der Ware Arbeitskraft, sondern über Steuermittel von der Masse der Lohnabhängigen bezahlt werden sollen. Es handelt sich um eine Art Vergesellschaftung des Lohns. Wir brauchen keinen von den LohnarbeiterInnen über Steuern bezahlten Kombilohn, sondern einen gesetzlichen Mindestlohn, der von den Käufern der Ware Arbeitskraft gezahlt wird. Er muss wenigstens ein unteres Niveau der Reproduktionskosten abdecken. Die Lohnarbeit führt sich ad absurdum, wenn die Verkäufer der Ware Arbeitskraft von ihrem Verkauf nicht mehr leben können und wenn sie ihre Ware Arbeitskraft immer weniger verkaufen können. Wenn denjenigen, die doch das Kapital erst erzeugen, die Lebensmöglichkeiten genommen werden, verliert das ganze Wirtschaftssystem seine Legitimation. VI) Noch mal zum Thema Missbrauch Die Unterstützung zu senken, um Löhne zu kürzen, entspricht der Logik der Kapitalverwertung. Denn die Arbeitskraft ist eine Ware, die auf dem Arbeitsmarkt verkauft werden muss, eine Ware, die letztlich nur dann Käufer findet, wenn diese damit Kapital verwerten können. Wenn aber die Kapitalverwertung schwieriger wird - und das wird sie - dann wächst das Interesse daran, das Lohnniveau absolut zu senken. Die Massenarbeitslosigkeit, die das Kapital selbst produziert, ist der mächtigste Hebel dazu. Lohn- und Unterstützungsniveau sind siamesische Zwillinge. Insoweit ist die Senkung der Sozialhilfe vom Standpunkt des Kapitals aus kein Missbrauch, sondern der richtige Gebrauch eines Instruments der Lohnsenkung auf dem Boden der Lohnarbeit, auf dem Boden des Kapitalismus. Es nutzt wenig, an die Verfassung zu appellieren, denn diese verbietet das nicht. Es nützt auch wenig, wie Heiner Geißler und einige Moraltheologen und Gewerkschaftsführer es tun, an die ethische Grundhaltung der Besitzer von Kapital zu appellieren. Für sie ist die Senkung des Unterstützungsniveaus kein Akt des Missbrauchs, sondern eine ökonomische Notwendigkeit. Und deswegen können sie auch noch ruhig schlafen. Jedenfalls noch solange, bis diejenigen, die unter die Räder kommen, sich auf ihre Interessen besinnen, sich zusammenschließen und das Problem nicht mehr bei sich selbst bzw. den faulen Arbeitslosen sehen, sondern beim Kapital und seiner eiskalten, gnadenlosen Funktionsweise. |
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Stand:12. Dezember 2012 |