Agenda
2010 - wie weiter?
Vortrag
von Rainer Roth in Hanau, 5.3.2004
Veranstalter:
Hanauer Bündnis der Gewerkschaften, Rhein-Main-Bündnis gegen Sozialabbau,
Attac Hanau, Internationales Kultur- und Kommunikationszentrum, DIDF, Peoples
Global Action, Neue Hanauer Zeitung u.a.
Krisenprogramme
Ich
zitiere aus dem letzten Geschäftsbericht der Deutschen Bank:
"Für
Deutschland geht es weit über die Bekämpfung einer trotz aller Schwere vorübergehenden
Wirtschaftskrise hinaus. Es geht (darum), vermeidbare Hindernisse zu
beseitigen, die der Entwicklung ... unserer Wirtschaft überhaupt im Wege
stehen. Zu diesen Hemmnissen gehört insbesondere unser Steuersystem. Daß
der Etat (des Staates) ... abgebaut werden muß, darüber besteht wohl keine
Meinungsverschiedenheit mehr. .... Ebenso hemmend wie das Steuersystem wirkt
sich die Lohn- und Gehaltshöhe aus. ... Wäre die Nominalhöhe der Löhne und
Gehälter in Deutschland 10% niedriger ...., so ständen wir nicht unter dem
Druck der Arbeitslosigkeit." (Aus dem Jahresbericht der Deutschen Bank
von 1929, Hoerster 79-80)
Kolleginnen
und Kollegen, es war nicht der letzte Geschäftsbericht der Deutschen Bank,
sondern der von 1929.
Die
Weltwirtschaftskrise wurde damals auf dem Rücken der LohnarbeiterInnen
letztlich damit "gelöst", dass die Tarifverträge nach 1933
beseitigt, die Löhne und Sozialleistungen massiv gesenkt und die Gewerkschaften
zerschlagen wurden.
Eine
solche Lösung der Krise wollen wir nicht.
Das
gegenwärtige Krisenprogramm heißt Agenda 2010. Es zielt ebenfalls darauf, die
"Hemmnisse" des Steuersystems und der Lohnhöhe zu verringern.
Die Agenda 2010 ist der bisher massivste Angriff auf den Lebensstandard der
Lohnabhängigen in der Nachkriegszeit.
Der
IHK-Präsident von Frankfurt bezeichnete sie dennoch nur als "Reförmchen
light". Sie ist in den Augen des Kapitals eben nur ein kleiner, zaghafter
Schritt in die richtige Richtung, d.h. in die Richtung seiner Interessen. Wir müssen
diese Richtung deutlich herausarbeiten, damit der Ernst der Lage klar wird und
wir nicht nur auf das verwirrende Tagesgeschäft reagieren, in dem mit vielen
taktischen Winkelzügen und Falschmeldungen nur um kleinere oder größere
Schritte geht, die in diese Richtung unternommen werden.
I)
Löhne
Zunächst
allgemein die Richtung:
*
Hans-Werner Sinn und das Ifo-Institut meinen, mit 10-15% Bruttolohn weniger
für alle könnte man die Arbeitslosigkeit weitgehend beseitigen (siehe Deutsche
Bank 1929). Bei gering Qualifizierten sei ein Drittel notwendig. "Jeder,
der Arbeit sucht, findet Arbeit, wenn man zulässt, dass der Lohn weit genug fällt
... " (Sinn, Ist Deutschland noch zu retten, München 2003, 93) Der
Vorstandsvorsitzende von Siemens zu Sinns Vorschlägen:" Deutschland
braucht Aufbruchstimmung. ... Mit seiner messerscharfen Analyse des
Krisenbefunds und einer klaren Handlungsanleitung gibt er den Weg vor."
Das Kapital will eine Aufbruchsstimmung erzeugen, indem es die Löhne senkt. Es
verwechselt sich mit Deutschland. Bei uns jedenfalls wird nur dann eine
Aufbruchsstimmung eintreten, wenn wir es schaffen, eine breite, aktive Front gegen
Lohnsenkungen aufbauen.
*
10-15% wäre erst der Anfang. Denn solange es Arbeitslosigkeit gibt,
beweist das für das Kapital immer nur eins, dass nämlich die Löhne zu hoch
sind. Die Arbeitskraft ist eben eine Ware, deren Preis wie der Preis aller
anderen Waren auch bei Überangebot fallen muss. Deshalb wird der Hauptgrund für
Arbeitslosigkeit in der Lohnhöhe gesehen.
*
Sinn stellt hier die Systemfrage:" So wie der Apfelpreis umso
niedriger sein muss, je größer die Apfelernte ist, damit alle Äpfel ihre
Abnehmer finden, muss auch der Lohn der Arbeitnehmer ... umso niedriger sein, je
mehr es von ihnen gibt, damit keine Arbeitslosigkeit entsteht. Noch
einmal sei hier wiederholt, dass dem Gesetz der Nachfrage keine moralische
Qualität innewohnt. (Es gibt also keine "soziale"
Marktwirtschaft. R.R.) Es ist eine bloße Beschreibung der Funktionsweise der
Marktwirtschaft, die man akzeptieren muss, wenn man diese Wirtschaftsform überhaupt
will." (Sinn 2003, 177f.) Wer also gegen Lohnsenkungen kämpft, wer
nicht akzeptiert, dass seine Arbeitskraft eine Ware ist, die auf einer Stufe wie
Obst steht, der akzeptiert allein schon damit dieses Wirtschaftssystem nicht.
Viele wissen noch nicht, dass sie Gegner des Kapitalismus sind, wenn sie ihre
Interessen als LohnarbeiterInnen verteidigen. Man sollte es ihnen sagen.
Der
Fall der Löhne hat auf dem Boden der Lohnarbeit keine Grenze nach unten, es sei
denn die arbeitenden Menschen setzen sie. Und dazu müssen sie sich
organisieren.
Agenda
2010 - organisiertes Lohndumping
Wie
wirkt nun die Agenda 2010 in die Richtung Lohnsenkungen?
a)
Die Aushöhlung des Kündigungsschutzes (Sinn ist für die Abschaffung)
erleichtert Entlassungen und Lohnsenkungen.
b)
Die Drohung des Kapitals und der Bundesregierung mit gesetzlichen Eingriffen zur
Aushöhlung der Flächentarifverträge bezweckt ebenfalls Lohnsenkungen. Dagegen
haben hunderttausende gestreikt.
c)
Die aktuell wichtigste Maßnahme aber besteht darin, dass ab 1.1.2005 rd.
3 Millionen Arbeitslose gezwungen sind, zu untertariflichen Löhnen, d.h. zu Löhnen
unterhalb des Existenzminimums zu arbeiten. Das greift die Tarifverträge
ebenfalls massiv an.
Die
Bezugsdauer des Arbeitslosengelds wurde beschränkt und die Arbeitslosenhilfe
wurde abgeschafft, damit möglichst viele Arbeitslose nur noch Arbeitslosengeld
II (ALG II) beziehen. ALG II ist eine Art Sozialhilfe, die aber unterhalb der
heutigen Sozialhilfe liegt. Zusätzlich zum neuen Regelsatz von 345 Euro gibt
keine einmaligen Beihilfen für Kleidung, Hausrat usw. mehr. Die Regelsätze der
Kinder zwischen 7 und 17 Jahren werden gesenkt. (Deutschland muss ja wieder
kinderfreundlich werden.)
Das
Mietniveau wird pauschaliert. Da die Kommunen für die Unterkunftskosten
aufkommen müssen (für ALG II zahlt der Bund) und der Anspruch auf Wohngeld
entfällt, haben sie angesichts ihrer Finanzkrise an starkes Interesse an
niedrigen Mietpauschalen. Nicht wenige befürchten, dass Arbeitslose verstärkt
von Obdachlosigkeit bedroht sind.
Warum
das alles? Offiziell heißt es, man müsse "Fehlanreize"
beseitigen (d.h. Unterstützungen senken), um "Arbeitsanreize"
zu schaffen. Problem ist also die Faulheit der Arbeitslosen, die keine Lust zum
arbeiten haben, weil 50-60% ihres früheren Lohns zu viel ist. In der Slowakei
wurde die Sozialhilfe für Langzeitarbeitslose schon halbiert, um ebenfalls
angeblich "Arbeitsanreize" zu schaffen. Der Arbeitsanreiz wäre
offensichtlich dann am höchsten, wenn es gar keine Sozialhilfe für Arbeitsfähige
mehr geben würde. Dann wären wir wieder im Deutschland des 19.Jahrhundert oder
in der Gegenwart der USA.
Das
Kapital betrachtet nicht die Arbeitslosenhilfe, sondern die Sozialhilfe als das
eigentliche Problem. "Hier zu Lande ist der Arbeitsmarkt das Problem. Er
wird heftig verzerrt durch Flächentarifverträge, vor allem aber durch die
Sozialhilfe." (Sinn in Financial Times Deutschland vom 29.01.2004)
Warum
Sozialhilfe?
"...
Die Lohnersatzeinkommen, ..., erzeugen Arbeitslosigkeit, weil sie wie
Lohnuntergrenzen im Tarifsystem wirken."
(Sinn 2003, 161-2) Sozialhilfe wirkt wie ein Mindestlohn. Wobei der
Sozialhilfe-Mindestlohn immer auf der Basis einer Familie mit zwei Kindern
berechnet wird.
Angriffe
auf die Sozialhilfe oder auf die Arbeitslosenhilfe sind also Angriffe auf die
"Mindestlöhne" der Beschäftigten insgesamt. Das muss klar gemacht
werden.
Der
Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), die Dachorganisation aller
Unternehmen in Deutschland verlangt die Senkung der Sozialhilfe um 25%. Sinn
schlägt sogar vor, dass "der Eckregelsatz und einmalige Leistungen im
Rahmen der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt für erwerbsfähige
Haushaltsmitglieder zur Gänze entfallen, während der Mietzuschuss ... weiter
gezahlt" wird. (Sinn 2003, 202) Ähnliches fordert der von der
Bundesregierung eingesetzte Sachverständigenrat. Alles läuft auf die Drohung
mit Hunger und Obdachlosigkeit hinaus, wenn man keine Lohnarbeit zu Armutslöhnen
machen will.
Die
LohnarbeiterInnen und die Gewerkschaften müssen also nicht nur die Tarifverträge
verteidigen, sondern auch die Höhe des Unterstützungsniveaus, die das
Tarifniveau flankiert. Beides gehört untrennbar zusammen.
Sozialhilfe
soll vollautomatisch mit Mißbrauch, Bekämpfung von Schmarotzern oder Sozialer
Hängematte in Verbindung gebracht werden. Daran arbeiten Medienkonzerne und
Regierungspolitiker, um eben den "Mindestlohn" Sozialhilfe zu senken.
Die Hetze gegen SozialhilfebezieherInnen richtet sich in Wirklichkeit gegen alle
LohnarbeiterInnen. Wir müssen eine Gegenpropaganda entwickeln.
d)
Löhne jetzt auch unterhalb der Arbeitslosenunterstützung zumutbar
Die
Einführung des ALG II allein ist schon staatlich organisiertes Lohndumping.
Aber die Große Koalition aus SPD, Grünen und CDU geht noch weiter.
Ab
2005 sind rd. 3 Mio. Arbeitslose, die Alg II bekommen, gezwungen, zu Löhnen unterhalb
ihres Unterstützungsniveaus zu arbeiten. Als einzige offizielle Schranke
bleibt: Arbeiten für mehr als 30% unter Tarif sind nicht legal, da
sittenwidrig, so die Sozialgerichte. Leiharbeit von Ungelernten für fünf Euro
ist also noch sittlich.
Um
dem staatlich geförderten Fall der Löhne eine Grenze nach unten zu setzen, müsste
jeder individuell klagen, um gerichtlich feststellen zu lassen, ob sein
Lohn diese Grenze unterschreitet. Das macht kaum einer. Deshalb fördert die
Agenda 2010 den freien Fall der Löhne nach unten.
Der
arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD- Bundestagsfraktion, Klaus Brandner, ein
ehemaliger IG.Metall-Funktionär erklärte, die Rechtslage hätte sich also doch
gar nicht geändert. Das ist ein Beispiel für Desinformation, denn bis jetzt
gilt noch, dass ein Nettolohn unterhalb der Arbeitslosenunterstützung
unzumutbar ist. Ab 2005 können die Arbeitsämter Löhne unterhalb der
Unterstützung erzwingen.
Um
die SPD zu entlasten, schieben manche das Ganze der CDU in die Schuhe. Aber der
Bundestag mitsamt der allermeisten Gewerkschaftmitglieder der SPD hat dem
Lohndumping zu fast 100% zugestimmt. Die CDU hat im Vermittlungsauschuss nur den
Zustand wiederhergestellt, den Schröder und Fischer von Anfang an gewollt
haben. Unter dem Druck einer Handvoll gewerkschaftlich organisierter
Abgeordneter war als untere Grenze zeitweise das ortsübliche Entgelt bzw. der
Tariflohn festgesetzt worden. U.a. deswegen hatte die DGB-Führung auf
machtvolle Demonstrationen gegen das geplante Lohndumping verzichtet. Aber
allermeisten SPD-Abgeordneten, die zunächst für Tariflöhne als Mindestentgelt
gestimmt hatten, haben das zusammen mit der CDU auch wieder gekippt. Die Taktik
der DGB-Führung, sich auf parlamentarische Lobbyarbeit zu beschränken, um
Lohndumping zu verhindern, ist völlig gescheitert. Das sollte eine Lehre sein.
Michael
Sommer erklärt jetzt:" Herausgekommen ist ein Gesetz, das dazu geeignet
ist, Millionen Beschäftigte mit einfachem und mittleren Einkommen in Armutslöhne
zu treiben. Von 2005 an müssen Langzeitarbeitslose jeden Job annehmen - bis zur
Grenze der sittenwidrigen Bezahlung. Wer heute neun Euro verdient, muss damit
rechnen, dass sein Job durch jemanden ersetzt wird, der vom Arbeitsamt gezwungen
wird, ihn zu sechs Euro zu machen. Ein Programm zur massiven Lohnsenkung. Das
muss zurückgenommen werden." (FR 20.02.2004)
Dem
kann man nur zustimmen. Es muss zurückgenommen werden, wie auch die Abschaffung
der Arbeitslosenhilfe usw.. Aber man wundert sich trotzdem. Als das
Lohndumpinggesetz noch nicht verabschiedet war, hat die DGB-Führung öffentliche
Protestaktionen mit der Begründung eingestellt, dass die gröbsten Klötze weg
seien. Das hat die Verabschiedung der Lohndumping-Agenda in der jetzigen Form
mit ermöglicht. Die Gewerkschaftsmitglieder im Bundestag haben es ebenfalls ermöglicht.
Ihnen war es lieber, die Regierungsverantwortung für Sozial- und Lohnabbau
selbst zu übernehmen und die Sozialpartnerschaft mit dem Kapital zu pflegen,
als die Interessen der LohnarbeiterInnen zu vertreten.
Wegen
des Angriffs auf die Tarifautonomie gab es Streiks, wegen des Versuchs, mit
Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich die Löhne zu senken, ebenfalls.
Wegen dieses "Programms zur massiven Lohnsenkungen", genannt Agenda
2010, gibt es bis jetzt keine Streiks.
Der
Bundestag hat ferner beschlossen: wenn Arbeitslose keine Stelle auf dem
Arbeitsmarkt bekommen, dann sind sie verpflichtet, Gemeinnützige Arbeit bei
Kommunen zu verrichten. Man rechnet mit rd. 200.000 zusätzlichen Gemeinnützigen
Arbeitern.
Auch
die Verpflichtung zur kommunalen Zwangsarbeit greift das gegenwärtige
Tarifsystem an. Die bankrotten Kommunen werden sich über die Jobcenter an
billiger Arbeitskraft für Schwimmbäder, Grünanlagen usw. bedienen und
tariflich Beschäftigte abbauen.
Das
macht überhaupt keiner zum Thema. Alle haben dem zugestimmt. Wo sind hier
Proteste? Bis jetzt hört man auch von ver.di kaum etwas.
Wenn
sich also Arbeitslose gegen Kürzungen, Zwang zu Lohndumping und gegen kommunale
Zwangsarbeit wehren, treten sie auch für die Beschäftigten ein. Sie kämpfen
nicht für eine bequemere soziale Hängematte. Das Faulheitsgeschrei nimmt
gerade in der Krise zu, um Beschäftigte und Arbeitslose zu spalten. (vgl. die
Argumentationsbroschüre "Sind Arbeitslose faul?", die im Januar 2004
für 3 Euro im Fachhochschulverlag erschienen ist.)
Es
muss Ziel der Lohnabhängigen werden, für gesetzliche Mindestlöhne
einzutreten, die über dem jetzigen Sozialhilfeniveau, d.h. über dem
Existenzminimum liegen. Der Frankfurter Appell gegen Sozial- und Lohnabbau macht
das klar. ver.di hat das verdienstvollerweise ebenfalls ins Gespräch gebracht.
Wie
ist die Lage? Das Kapital will die Sozialhilfe senken und damit die
Lohnuntergrenzen im Tarifsystem. Dann sollen verstärkt staatliche
Lohnsubventionen gezahlt, um die Hungerlöhne aus Steuermitteln bis zu einem
gewissen Lohn aufzustocken, der dann faktisch ein Mindestlohn ist. Diesen Weg
hat die Agenda 2010 zaghaft beschritten. Eine Negative Einkommenssteuer einzuführen,
d.h. automatische Zahlungen des Finanzamts an Niedriglöhner, ist das
strategische Ziel des Kapitals. Löhne flächendeckend senken und aus Lohn- und
Mehrwertsteuer bis zu einem Mindestlohn aufstocken. Das Kapital tritt also
indirekt für subventionierte gesetzliche Mindestlöhne ein. Die allerdings
sollen unter dem Existenzminimum liegen. Und die Lohnsubventionen sollen aus
Lohnsteuern oder aus Mehrwertsteuern bezahlt werden, die man u.a. von
Arbeitslosen und RentnerInnen kassiert.
Wenn
schon Subventionen für gesetzliche Mindestlöhne, dann müssen sie aus den
Gewinnsteuern aller Unternehmen bezahlt werden.
Arbeitgeberpräsident
Hundt bezeichnet gesetzliche Mindestlöhne als Angriff auf Tarifautonomie,
ebenso Schröder. Sie lehnen sie ab, weil sie den Fall der Löhne nach unten
nicht bremsen wollen. Deshalb redet auch die Financial Times Deutschland von
"ökonomischer Unvernunft", eben weil es unvernünftig ist, mit
Lohnsteigerungen die Profite zu schmälern. Gesetzliche Mindestlöhne heben das
Lohnniveau und senken es nicht, wie Koll. Wiesehügel meint. Oder wehrt sich
Hundt etwa gegen Lohnsenkungen, wenn er gegen Mindestlöhne ist? Natürlich kann
man einer Bundesregierung, die das Lohndumping organisiert, nicht die
Festsetzung von Mindestlöhnen überlassen. Es müssen klare Forderungen
aufgestellt werden, für die dann auch gekämpft werden muss. Ich persönlich könnte
mir zehn Euro pro Stunde als Mindestlohn für Ungelernte vorstellen.
Am
Bündnis zwischen Erwerbstätigen und Arbeitslosen hängt vieles. Beschäftigte
und Arbeitslose müssen vereint marschieren, nicht getrennt. Gesetzliche
Mindestlöhne festigen dieses Bündnis. Ebenso die Forderung nach einem
Mindesteinkommen für Erwerbslose, ohne Bedürftigkeitsprüfung, oberhalb der
heutige Sozialhilfe. Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe muss rückgängig
gemacht werden. Wenn schon das Kapital für seine beschränkten Profitzwecke
immer weniger Menschen braucht, dann sollen die Freigesetzten wenigstens anständig
leben können.
II)
Senkung der Lohnnebenkosten
Wenn
das Niveau der Bruttolöhne abgesenkt wird, sinken auch die Einnahmen der
Sozialversicherung. Die Senkung von Renten, Arbeitslosenunterstützungen usw.
ist allein dadurch vorprogammiert.
Andererseits
aber werden Lohnsenkungen auch durch die Senkung der sogenannten
Lohnnebenkosten gefördert. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI)
verlangt die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge von jetzt 42% auf 35%,
d.h. die Senkung aller Leistungen um 15-20%. Das erhöht die Profite des
Kapitals. Wenn die Beiträge fallen, erzeugt das noch mehr Druck auf Renten,
Gesundheitsleistungen usw.. Private Vorsorge, ob über Riester-Rente oder
Zusatzversicherungen für Krankengeld und Zahnersatz sind ebenfalls
Lohnsenkungen.
Auch
beim Abbau der Sozialversicherung gibt es keine Schranke nach unten, es sei denn
die arbeitenden Menschen setzen sie.
Denn
die Ökonomen des Kapitals halten nicht nur die Löhne allgemein, sondern auch
die SV-Beiträge für solange zu hoch, als es Arbeitslosigkeit gibt. Spirale
nach unten.
Sozialabbau
dient nicht der Rettung des Sozialstaates. Das mag man naiven, vertrauensseligen
Menschen verkaufen können. Er bereitet nur weitere Kürzungen vor. Wichtigste
Triebfeder ist das Interesse an Lohnsenkungen, um die Profite steigern zu können.
Statt der versprochenen Arbeitsplätze sieht man nur die Entlassung von
Zehntausenden in den Bereichen, die z.B. von der Krankenversicherung und der
Arbeitslosenversicherung abhängen.
Die
Senkung der Lohnnebenkosten ist das Ziel des Kapitals. Es kann kein
gewerkschaftliches Ziel sein. Kollektive Beiträge zu zahlen für Zeiten, in
denen die Ware Arbeitskraft nicht oder nicht mehr arbeiten kann, gehört zu den
Reproduktionskosten der Arbeitskraft und damit zu den Lohnkosten dazu. Es sind
keine Lohn"neben"kosten. Im begriff Lohnnebenkosten steckt
schon, dass das Kapital nur die Kosten als Lohnkosten entstehen, die für die
tatsächliche Arbeitszeit bezahlt werden.
Das
Kapital verkauft Beitragssenkungen als Nettolohnerhöhung im Interesse der
Arbeitenden. In Wirklichkeit verlieren die LohnarbeiterInnen als RentnerInnen,
als Kranke und Arbeitslose, was sie durch eventuelle Beitragssenkungen gewinnen
können.
Und
zur Erinnerung: die LohnarbeiterInnen erarbeiten sich ihre Löhne selbst. Löhne
beruhen nicht auf der Ausbeutung der Mildtätigkeit des "Faktors
Kapital" durch die LohnarbeiterInnen. Umgekehrt: das Kapital vermehrt sich
nur, weil LohnarbeiterInnen erheblich mehr Werte schaffen, als sie zum eigenen
Lebensunterhalt brauchen.
Auch
die Senkung der sogenannten Lohnnebenkosten soll nach dem Willen des Kapitals
mit Milliarden Euro Steuersubventionen aufgefangen werden. Heute schon stammen
40% der Arbeiterrenten aus Steuermitteln. Das Kapital braucht immer weniger
Arbeiter und läßt sich vor allem die Arbeiterrenten staatlich subventionieren.
Riester-Rente und Pensionsfonds werden ebenfalls staatlich subventioniert und
schwächen gleichzeitig die Sozialversicherung.
Den
Vogel würden die Kopfpauschalen in der Krankenversicherung abschießen, die mit
28 Mrd. Euro subventioniert werden müssten.
Das
Kapital verlangt also immer mehr Subventionen für die Bezahlung der Ware
Arbeitskraft, die es letztlich von den Lohnabhängigen selbst direkt oder über
den Staat eintreiben will.
Die
von den LohnarbeiterInnen erarbeiteten Gewinne dagegen will es weiterhin privat
einsacken und dem Staat auch noch immer weniger Steuern davon zahlen.
Das
Kapital spricht viel von Sozialschmarotzern, wir sollten mehr von
Kapitalschmarotzern sprechen.
III)
Steuersenkungen erfordern Ausgabenkürzungen.
Das
Kapital will wachsende Teile des Lohns auf Steuern, d.h. auf Staat verlagern,
entzieht aber gleichzeitig dem Staat systematisch die finanzielle
Grundlage.
Allein
die Ausfälle an Körperschaftssteuer (KSt), der Gewinnsteuer der
Kapitalgesellschaft belaufen sich aufgrund der Senkung des KSt-Satzes auf 25%
seit 2001 auf jährlich 20 Mrd. Euro. Wenn aber die Slowakei 19% und Irland nur
15% KSt-Satz verlangt, ist Deutschland natürlich nicht wettbewerbsfähig genug.
Am Wettbewerbsfähigsten ist man offensichtlich bei Null % wie in den
Sonderwirtschaftszonen Chinas. Überlegungen gehen ja dahin, in Ostdeutschland
solche Biotope der Kapitalvermehrung einzurichten. Außerdem ist da noch die lästige
Gewerbesteuer, die es in den meisten Ländern nicht gibt. Der BDI verlangt ihre
Abschaffung.
Der
Spitzensteuersatz der Einkommensteuer (ESt) soll im Namen der
Steuergerechtigkeit ebenfalls auf 25% verringert werden. Der Mittelstand fühlt
sich gegenüber den Konzernen ungerecht behandelt.
Alle
Gewinnsteuersenkungen erzwingen weiteren Sozialabbau sowie Personal- und
Lohnabbau beim Staat. Und das wiederum soll Luft schaffen für weitere
Gewinnsteuersenkungen.
Gewinnsteuersenkungen
erzwingen auch höhere Gebühren für staatliche Leistungen. Steuern werden
durch immer mehr Gebühren ersetzt. Diese bereiten die weitgehende
Privatisierung aller staatlichen Leistungen vor und ihre Verwandlung in Waren.
Je
mehr die Lohnabhängigen wiederum für Bildung, Kinderbetreuung, Nutzung öffentlicher
Infrastruktur zuzahlen müssen, desto mehr fällt ihr Reallohn. Das senkt ebenso
wie der Druck auf die Bruttolöhne, die Senkung der Lohn"neben"kosten
den Lebensstandard. Nicht zu vergessen die Ausdehnung der unbezahlten
Mehrarbeit.
Die
Senkung der Gewinnsteuern wird als Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
vermarktet, weil der Steuerverzicht angeblich die Investitionstätigkeit fördert.
Auch hier handelt es sich um die übliche Desinformation. Die Gewinnsteuern sind
in den letzten 25 Jahren um die Hälfte gefallen. Die Arbeitslosigkeit ist
gestiegen (eben wegen des technischen Fortschritts, der Krisen und des Umstands,
dass sich menschliche Fähigkeiten im Wesentlichen nur in Form des Verkaufs der
Arbeitskraft als Ware verwirklichen können, an deren Nutzung ein Privateigentümer
verdient. Besonders ab 2001 fielen die Investitionen der Kapitalgesellschaften
in den Keller, von 66 Mrd. Euro im Jahr 2000 auf 17 Mrd. Euro im Jahr 2002. Die
Arbeitslosigkeit stieg.
Die
Steuerreform dient ausschließlich der Steigerung der Nettoprofite und der
Nettoprofitraten. Fördern, ohne zu fordern, ist hier die Devise des Kapitals
und seiner Politiker gegenüber sich selbst.
Das
wird als Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit verkauft. Und ist
es auch. Aber wenn wir uns auf diese Logik einlassen, dann müssen die
LohnarbeiterInnen für Lohnsenkungen, Sozialabbau und weitere
Gewinnsteuersenkungen kämpfen, um die Wettbewerbsfähigkeit noch weiter zu
steigern. Es kann nicht unser Ziel sein, dass wir bei wachsendem
gesellschaftlichem Reichtum und enorm steigender Produktivität verarmen.
Mit
der Zustimmung zu Gewinnsteuersenkungen bekämpfen wir uns selbst. Aber die
DGB-Führung hat der Senkung der Körperschaftsteuer ab 2001 zugestimmt und der
Senkung der Spitzensteuersatzes jetzt wieder. Im Interesse der internationalen
Wettbewerbsfähigkeit des Kapitals.
Die
LohnarbeiterInnen müssen die Rücknahme der Gewinnsteuersenkungen fordern,
nicht nur die Rücknahme der Abschaffung der Vermögenssteuer.
Zweck
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit?
Senkungen
der Arbeitslosenunterstützung und Sozialhilfe, Lohnabbau, Senkung der
Lohn"neben"kosten, Gewinnsteuersenkungen dienen nicht der Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit, sondern ausschließlich der Steigerung der Profite.
Die
Entwicklung der Arbeitslosigkeit hängt nämlich nicht in erster Linie von den Löhnen,
sondern von der Entwicklung der Produktivität ab. Das Kapital braucht immer
weniger Menschen für seinen beschränkten Zweck, sich rentabel zu vermehren.
Die
Arbeitslosigkeit steigt besonders in Wirtschaftskrisen. Und die gibt es
deswegen, weil das Wirtschaftssystem einen Konstruktionsfehler hat. Es
produziert notwendigerweise immer wieder mehr Waren, als es verkaufen und immer
wieder mehr Kapital, als es rentabel verwerten kann. Überkapazitäten und Überproduktion
müssen in Krisen in einem gewissen Zyklus vernichtet werden.
Was
ist das für ein blödsinniges System, in dem der technische Fortschritt nicht
zu steigendem, sondern zu sinkendem Lebensstandard der Masse der
LohnarbeiterInnen führt!
IV)
Sinkende Steuern und sinkende Reallöhne bei steigenden Gewinnen
1980
betrugen die Unternehmensgewinne der Kapitalgesellschaften rd. 70 Mrd. Euro.,
1991 waren es 190 Mrd. Euro, im Jahr 2002 314 Mrd. Euro. (Sachverständigenrat,
Jahresgutachten 2003/04, 543)
In
der Krise 1992/1993 sanken die Unternehmensgewinne aller Kapitalgesellschaften
noch, wie in Krisen üblich. Im Krisenjahr 2002 jedoch lagen sie über
10% höher als im Jahr des Aufschwungs 2000.
Wo
ist also das Problem?
Trotz
steigender Unternehmensgewinne hat das Kapital ferner erhebliche Steuersenkungen
durchgesetzt. 1980 betrug die Steuerbelastung der Unternehmens- und Vermögenseinkommen
der Kapitalgesellschaften und der Selbständigen noch 33,3%, im Jahr 2000 waren
es nur nur 21,7%. Mit der Steuerreform 2001 sank der effektive Steuersatz 2002
dagegen auf sagenhafte 12,8%. (eigene Berechnung, Roth, Nebensache Mensch,
Frankfurt 2003,470)
Wäre
der effektive Steuersatz 2002 genauso hoch gewesen wie 1980, wären 90 Mrd. Euro
mehr in den Staatskassen gewesen.
Hier
haben wir die Hauptursache der Löcher des Staatshaushalts und der
Staatsverschuldung. Indem das Kapital sich immer mehr aus Steuerzahlungen
verabschiedet, zeigt es, dass es keine soziale Verantwortung kennt.
Verantwortung für uns müssen wir schon selbst übernehmen.
Die
LohnarbeiterInnen zahlten 1980 im Durchschnitt 18,1% Lohnsteuern, 2000 dagegen
waren es 19,3% und 2002 18,7%. (eigene Berechnung anhand Monatsberichte
Bundesbank, Lohnsteuern im Verhältnis zur Bruttolohn- und Gehaltssumme.) Sie
zahlten also mehr Steuern als 1980 und inzwischen sogar erheblich mehr als die
effektiven Steuersätze der Kapitalgesellschaften.
Wieso
gibt es trotz steigender Gewinne, steigenden Nationaleinkommens usw. einen
solchen Druck auf Steuern und Löhne?
1)
Wir haben das merkwürdige Phänomen, dass sich trotz steigender Gewinne die
Rentabilität verschlechtert.
Rentabilität
(oder Rendite, Profitrate) ist das Verhältnis der Gewinne zum investierten
Kapital. Dieses Verhältnis ist letztlich entscheidend, nicht die absolute Höhe
der Profite.
Der
Sachverständigenrat hat auch in seinem jüngsten Jahresgutachten festgestellt,
dass immer mehr Kapital investiert werden muss, um die gleiche Summe an
Gewinnen, Löhnen und Abschreibungen, also diegleiche Summe an sogenannter
"Bruttowertschöpfung" zu erwirtschaften. Er bezeichnet das als
sinkende "Kapitalproduktivität". (SVR 2003, 415) 1991 betrug die
Bruttowertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe 464 Euro pro 1000 Euro
Kapitalstock, 2000 waren es nur noch 427 Euro. (Statistisches Bundesamt,
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen 2001, Wiesbaden 2002, 81) Die sinkende
"Kapitalproduktivität" deutet indirekt auf sinkende Rentabilität
hin, auf die Verschlechterung der Kapitalverwertung hin.
Heute
ist die Rentabilität in der Gesamtwirtschaft niedriger als 2000, erheblich
niedriger als Ende der 90er Jahre und noch wesentlich niedriger als Anfang der
70er Jahre. Und genau das ist der Grund dafür, warum die Investitionstätigkeit
erlahmt, warum sich riesige Kapitalüberschüsse auftürmen, die an den
internationalen Finanzmärkten für Wetten eingesetzt werden, die in gewerbliche
Immobilien als Renditeobjekte fließen, die Verschuldung von Staat, Unternehmen
und Privathaushalten überall hochtreiben, und die ins Ausland fließen, weil
sie im Inland nicht mehr rentabel genug angelegt werden können. (vgl. Roth,
Nebensache Mensch, 239-277)
Dass
die sog. Kapitalproduktivität langfristig sinkt, gilt für alle Länder
der OECD (Organization for Economic Cooperation and Development), also auch für
die wichtigsten Industrieländer wie Japan, USA, Großbritannien, Frankreich
usw., wenn auch ungleichzeitig. D.h. Ob Löhne, Sozialleistungen oder
Gewinnsteuern hoch oder niedrig sind: die Verwertung des Kapitals verschlechtert
sich langfristig. Das ist das Grundproblem des Kapitalismus, das er selbst
erzeugt.
Die
Konkurrenz des Kapitals untereinander verschärft das Problem, denn weltweit
sucht jedes Kapital nach Möglichkeit die rentabelste Anlage. Auf diesem Boden
werden auch die kleinen und mittleren Unternehmen nach und nach durch Banken und
Konzerne ruiniert bzw. geschluckt.
Die
Profitraten fallen tendenziell, weil
*
aufgrund des technischen Fortschritts immer mehr Menschen durch Maschinen und
Anlagen ersetzt werden. Es wird immer mehr Kapital investiert, aber die Zahl
derjenigen, die die Gewinne erwirtschaften, nimmt relativ dazu ab.
*
immer mehr Waren erzeugt werden, gleichzeitig aber immer mehr Menschen vom
Kapital freigesetzt und nicht mehr oder nur noch zu erheblich geringeren Löhnen
beschäftigt werden können. Das erschwert den Verkauf der Waren und damit die
Realisierung der Profite. Außerdem führt dieser Widerspruch zu periodischen
Krisen, in denen sich der Fall der Profitraten durchsetzt.
(nähere
Erläuterungen Roth, Nebensache Mensch, Frankfurt 2003, 218-232)
Die
langfristig weltweit gesunkenden Steuersätze zeigen, ebenso wie die langfristig
gesunkenen Zinssätze indirekt die gesunkenen Profitraten an. Denn Steuern und
Zinsen werden aus Gewinnen gezahlt und die entsprechenden Prozentsätze der
Steuer- und Zinssätze sind nicht unabhängig von den den Prozentsätzen der
Profitraten. Da die durchschnittlichen Profitraten sich in den letzten 30 Jahren
halbiert haben, ist der Druck darauf, Zinssätze und Steuersätze ebenfalls
mindestens zu halbieren, objektiv gegeben. Langfristig gesunkene Zinssätze und
Krisen verschlechtern natürlich auch die Rentabilität der Banken. Deren
Profitraten werden in hohem Maße durch die Überproduktion an Kapital
gebeutelt. Banken besitzen Aktienbeteiligungen, deren Werte in der Krise stark
gefallen sind, sie haben Milliarden-Kredite vergeben, die aufgrund von
Unternehmensbankrotten und Zahlungsunfähigkeiten nicht mehr rückgezahlt werden
können, sie haben in Immobilien investiert, deren Preise gefallen sind usw..
2)
Die Krise ab 2001 hinterläßt ihre Spuren auch in den Bilanzen.
Die
in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung angezeigten Gewinne sind die Gewinne
aus dem laufenden Geschäft, dem sogenannten "operativen Geschäft".
Die VGR berücksichtigt nur die Wertschöpfung, nicht dagegen z.B.
Wertberichtigungen (Korrekturen von Werten nach unten z.B. aufgrund fallender
Aktienkurse, sinkender Immobilienpreise oder Abschreibungen auf Forderungen,
wenn Kredite nicht mehr rückgezahlt oder Lieferungen nicht bezahlt werden können.
Diese
Wertberichtigungen führten aber in der Krise 2001 bis heute zu massiven
Verlusten, die den zu versteuernden Gewinn erheblich minderten. Denn der zu
versteuernde Gewinn ist nicht identisch mit dem Gewinn aus dem laufenden Geschäft.
Die Verluste summieren sich zu sogenannten Verlustvorträgen, die mit den
aktuellen Gewinnen steuerlich verrechnet werden können. Die Verlustvorträge
z.B. aller 30 Dax-Unternehmen addierten sich von 2000 32 Mrd. Euro auf 100 Mrd.
Euro in 2002. (Lorenz Jarass, Gustav M. Obermaier, Geheimnisse der
Unternehmenssteuern Eine Analyse der DAX30-geschäftsberichte 1996-2002 unter
Berücksichtigung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, Marburg 2004) Die
Verlustvorträge mindern den zu versteuernden Gewinn. Der
ausgewiesene Gewinn stimmt nicht mit dem zu versteuernden Gewinn überein.
Die
massiven Steuersenkungen und die dadurch erzwungenen Sparpakete der Regierungen
fangen also die Folgen der Finanzkrise auf, die durch die verrückte,
ineffiziente Überproduktion an Kapital erzeugt wurde. Das Kapital zieht sich im
krisen selbst den Boden unter den Füßen weg und versucht, sich an den
LohnarbeiterInnen dafür schadlos zu halten. Deshalb beschimpft es sie, wenn sie
sich dem nicht fügen wollen und erklärt, dass es keine Alternative gibt.
Um
die Aktionäre für die Verluste zu entschädigen, erhöhten die Kapital- und
Personengesellschaften ausgerechnet in der Krise 2001 und 2003 ihre Ausschüttungen
an Dividenden und ihre privaten Entnahmen insgesamt um rd. 50 Mrd. Euro
gegenüber 2000. (Jarass, Obermaier 2004, 60) Sie schütteten also den
Steuerverzicht des Staates an die Aktionäre aus, während sie von Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit faselten. Mit der Steuerreform linderte die SPD-Grünen-Regierung
den unendlichen Frust der Aktionäre über ihre Aktienkursverluste am
Roulett-Tisch des Marktes.
Die
massiven Steuersenkungen kamen insbesondere den Banken und Versicherungen zu
gute, denn im Gegensatz zu den nicht-finanziellen Kapitalgesellschaften sanken
ihre Unternehmensgewinne in der Krise und zu versteuernden Gewinne fielen
aufgrund massiver Wertberichtigungen teilweise ins Bodenlose. Besonders die
Renditen der Finanzkonzerne standen unter Druck.
Die
langfristige Tendenz zu sinkender Rentabilität, besonders in Krisen, führt für
das Kapital und alle, die seine Bedürfnisse befriedigen, zu dem Zwang, dieses
Problem auf Kosten der Gesellschaft als Ganzer zu lösen. Vor allem mit
Lohnabbau und dem damit verbundenen Sozialabbau, aber auch mit Hilfe von
Gewinnsteuersenkungen. Deshalb ertönt gerade in Krisen der Ruf Lohnsenkungen
und nach Steuersenkungen.
V)
Was das Kapital an Lohn- und Sozialabbau und an Gewinnsteuersenkungen
durchsetzen kann, ist natürlich letztlich eine Frage der Kräfteverhältnisse,
ist auch eine politische Frage.
Wenn
der Wettbewerb die Ursache der Probleme wäre, dann müsste die Wettbewerbsfähigkeit
gesteigert werden.
Betriebe
müssten gegen Betriebe antreten, Belegschaften gegen Belegschaften, Nationen
gegen Nationen und die EU gegen die USA. Die LohnarbeiterInnen müssten sich
untereinander bekämpfen. Genau das ist das Ziel der Agenda 2010, die deshalb
Agenda 2010 heißt, weil alle EU-Staaten beschlosen haben, bis 2010 die USA
einzuholen und zu überholen.
Aber:
die Wettbewerbsfähigkeit steigt mit den Profitraten und die steigen, je länger
wir arbeiten, je geringer der Lohn, je geringer die Rente, je schlechter die
Gesundheitsversorgung usw. ist. Mehr arbeiten für geringeren Lebensstandard:
das kann nicht unser Ziel sein.
Die
mangelnde Konkurrenzfähigkeit kann nicht die Ursache der wirtschaftlichen
Probleme Deutschlands sein. Weltweit ist die Arbeitslosigkeit seit der
Weltwirtschaftskrise 1975 gestiegen, nicht nur in Deutschland. In den USA ist
die Arbeitslosigkeit trotz niedriger Löhne und Sozialleistungen mindestens so
hoch wie in Deutschland. Sie ist nur statistisch weggerechnet. Einzelne Länder
können sich dem Sog nach unten zeitweise entziehen, in dem sie sich Vorteile
auf Kosten anderer Länder verschaffen. Aber Länder, die uns als Vorbilder vor
die Nase gehalten werden, fallen irgendwann zurück, weil ihr Vormarsch in
Krisen endet. Sei es das Japan der 80er Jahre, die südostasiatischen "Tiger"staaten
in den 90er Jahren, dann die USA der 90er Jahre. China steuert gerade wegen
seiner rasanten Wachstumsraten auf eine tiefe Überproduktions- und Finanzkrise
zu. Letzte Ursache der Probleme ist in allen Ländern die Kapitalverwertung, die
sich in jedem Land auf Dauer ihre Basis selbst tatkräftig untergräbt.
Wenn
die LoharbeiterInnen einen selbständigen Standpunkt einnehmen, ohne Rücksicht
auf die Profitraten, können sie die Abwärtsbewegung am ehesten bremsen bzw.
abmildern. Die Jäger nach Profitraten nehmen keine Rücksicht auf uns. Frage
ist also, ob die LohnarbeiterInnen Rücksicht auf das Kapital nehmen sollten.
Es
geht nicht um eine neue Volksgemeinschaft, ein enges Bündnis der
LohnarbeiterInnen mit dem Kapital, um die Profitraten in Deutschland oder
der EU gegenüber der USA oder wem auch immer zu steigern. Es geht um ein
nationales und internationales Bündnis aller Lohnabhängigen, Arbeitslosen,
RentnerInnen, Studierenden und Schüler gegen das Kapital
Die
LohnarbeiterInnen sollten genauso rücksichtslos wie die Arbeitgeber ihre
eigenen Interessen formulieren und langfristige Ziele aufstellen, die der
Richtung des Kapitals entgegengesetzt sind. Letztlich können wir nur auf einer
solchen Basis verteidigen.
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