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Rainer Roth

Zu den Hintergründen der Agenda 2010 und den Argumenten gegen sie

Vortrag im Kulturbahnhof in Bochum 17.10.2003

 

I) Zur neuen Sozialhilfe für Erwerbsfähige, genannt "Arbeitslosengeld II"

Heute hat der Bundestag mit Regierungsmehrheit das neue Herzstück der Hartz-Reformen verabschiedet: die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe für 1,7 Mio. Arbeitslose. SPD und Grüne verwirklichen damit eine alte Forderung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, der Dachorganisation aller Verbände des Kapitals.

"Die Arbeitslosenhilfe ist mit der Sozialhilfe zusammenzufassen. Einheitlich würden so nur noch die Vorschriften für die Sozialhilfe gelten," verlangte die BDA im Mai 1998 zum wiederholten Male. (BDA, Sozialpolitik für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung, Köln 1998, 36)

Die Bundesregierung ist der Gerichtsvollzieher, der die Zwangsvollstreckung dieser Forderungen des Kapitals an den Arbeitslosen betreibt.

Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe wird für den Staat insgesamt Einsparungen von mehreren Milliarden Euro ergeben. Denn bisher liegt sie meist oberhalb der Sozialhilfe. Das Einkommen von PartnerInnen wird ferner stärker herangezogen. Sie müssen alle Einkommen oberhalb ihres Sozialhilfebedarfs für den arbeitslosen Partner einsetzen. 500.000 ehemalige Arbeitslosenhilfebezieher werden u.a. deshalb aus dem Bezug herausfallen.

Aber entgegen den Versprechungen der Regierungserklärung von 14.03.2003 liegt das neue Arbeitslosengeld II, nicht auf, sondern unterhalb des jetzigen Sozialhilfeniveaus. Der neue Regelsatz, der die einmaligen Beihilfen einschließen soll, soll im Westen pauschal 345 Euro betragen. Das entspricht dem Niveau der gegenwärtigen Grundsicherung für AltersrentnerInnen. Die Grundsicherung sollte angeblich die Sozialhilfe ersetzen, wurde aber so niedrig festgesetzt, dass in der Mehrheit der Fälle noch zusätzliche Anträge auf einmalige Beihilfen der Sozialhilfe gestellt werden können. Zusätzliche Anträge auf einmalige Beihilfen sollen aber bei Bezug von Arbeitslosengeld II ausgeschlossen sein. Die Angehörigen der Arbeitslosen bekommen weiterhin Sozialhilfe, umgetauft in Sozialgeld. "Für Kinder und Jugendliche im Alter von 7 bis 17 Jahren liegen die Leistungssätze z.T. beträchtlich unterhalb der bisherigen Sozialhilfe, ..." (Wilhelm Adamy, Beschleunigter Abstieg in die Armut, FR 15.10.2003)

Die Kosten der Unterkunft und Heizung werden nur noch getragen, soweit sie als angemessen gelten. Übersteigen die tatsächlichen Aufwendungen den angemessenen Umfang, sollen sie nur noch längstens ein halbes Jahr weiterbezahlt werden, aber auch nur, wenn es nicht möglich oder zumutbar war, eine billigere Wohnung zu finden. Was als angemessen gelten kann, zeigt das Beispiel von Kassel, wo die angemessene Miete auf 237 Euro festgesetzt worden war. Das führte zu hunderten von Räumungen wegen Mietschulden.

Auch mit der Absenkung des Niveaus des Arbeitslosengelds II bzw. Sozialgelds unter das Sozialhilfeniveau vollstrecken Schröder und Fischer eine alte Forderung der Arbeitgeberverbände. Z.B. Arbeitgeberpräsident Hundt im März 1997:" Die Leistungen der Arbeitslosenversicherung und der Sozialhilfe müssen gesenkt werden." (FR 26.03.1997)

Damit möglichst viele Arbeitslose in den Genuss der neuen gekürzten Sozialhilfe ALG II kommen, haben SPD und Grüne die maximale Dauer des Bezugs von Arbeitslosengeld auf 12 Monate gesenkt (Ausnahme: 18 Monate für über 55-jährige). Auch das verwirklicht eine alte Forderung der BDA.

Insgesamt werden in Zukunft 2,5 Mio. Arbeitslose ALG II bekommen.

2,5 Millionen Menschen wird es jetzt zumutbar sein, auch zu Löhnen unterhalb des Sozialhilfeniveaus zu arbeiten, z.B. Mini-Jobs anzunehmen. Entgegen den Wünschen von Schröder und Fisvcher erzwungen 6 SPD-"Rebellen" das Zugeständnis, dass für idie Billigjobs wenigstens ortsübliche Stundenlöhne bezahlt werden müssen. Dem aber wird die CDU nicht zustimmen, so dass das spätestens im Vermittlungsausschuss wieder fallen wird. Die sechs SPD-"Rebellen" werden dann nach Auffassung der Financial Times Deutschland dem freien Fall der Löhne nach unten zustimmen, um die SPD an der Macht zu halten.

Etwa zwei Drittel der 2,5 Millionen ALG II-Empfänger hat einen Beruf gelernt hat. (Arbeitsmarkt 2002, Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg 2003, 215) Gegen sie soll jetzt endlich durchgesetzt werden, dass ihnen irgendwelche Arbeiten angeboten und aufgezwungen werden, auch wenn sie dadurch ihre berufliche Qualifikation abschreiben können.

2,5 Millionen Arbeitslosen ist es mit Hartz IV zumutbar, gemeinnützige Arbeit bei Kommunen zu machen, wenn ihre Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt nicht verkäuflich ist. Die Kommunen erschließen sich neue BilligarbeiterInnen, mit denen sie die Tarife des öffentlichen Dienstes unterlaufen können. Es wird mit rd. 200.000 zusätzlichen Zwangsarbeitern gerechnet. (Adamy in FR 15.10.2003) 

 

2,5 Mio. Arbeitslose müssen jetzt sogenannte Eingliederungsvereinbarungen abschließen, in denen Sachbearbeiter, umgetauft in Fallmanager bestimmen, "welche Bemühungen der erwerbsfähige Hilfebedürftige in welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen muss und in welcher Form er die Bemühungen nachzuweisen hat. (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt) Sie müssen vor allem ausreichende Bewerbungen nachweisen, auch wenn z.Zt. auf immer mehr Arbeitslose immer weniger offene Stellen kommen, z.Zt. auf elf Arbeitslose eine offene Stelle. Die Bewerbungskosten tragen sie in der Regel selbst. Sie können ferner verpflichtet werden, zu einer Schuldnerberatung, einer Suchtberatung oder einer psychosozialen Beratung zu gehen oder einen Kindergartenplatz anzunehmen usw.. Verstoßen sie gegen die Eingliederungsvereinbarung oder nehmen zumutbare Arbeit nicht an, wird die neue Sozialhilfe um 30% gekürzt, bei Jugendlichen unter 25 Jahren sogar völlig gestrichen.

 

Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe unter dem Namen des VW-Managers und IG-Metallmitglieds Hartz zielt auf die Senkung staatlicher Ausgaben für Arbeitslose. Je weniger Menschen das Kapital für seine Zwecke noch braucht, desto größer wird das Interesse, die Kosten der Überflüssigen zu senken.

Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe zielt aber vor allem auf die Senkung des Lohnniveaus der Beschäftigten. Es ist kein Gesetz zur Beseitigung von Fehlanreizen für Arbeitsunwillige ältere Arbeitslose, sondern ein Gesetz, das auf Lohndumping zielt.

Eine riesige Armee von Arbeitslosen in der Stärke von 200 Divisionen wird zu einem neuen Feldzug gegen die beschäftigten LohnarbeiterInnen in Marsch gesetzt. Sie sollen die Löhne drücken und normal bezahlte Arbeitskräfte verdrängen. Offiziell heißt das Ganze: die größte Arbeitsmarktreform seit Bestehen der Bundesrepublik. In Wirklichkeit ist es der stärkste Angriff des Kapitals auf die LohnarbeiterInnen seit Bestehen der BRD.

 

II) Wer sind die Langzeitarbeitslosen?

Die Agenda 2010 greift vor allem diejenigen an, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, die sogenannten Langzeitarbeitslosen. Denn Arbeitslosenhilfe gibt es ja erst nach einem Jahr.

Schröder:" Wir setzen damit (mit der Agenda 2010) ein deutliches Signal für diejenigen Menschen in unserer Gesellschaft, die länger als zwölf Monate arbeitslos sind. Niemand ... wird es künftig gestattet sein, sich zu Lasten der Gemeinschaft zurückzulehnen." (Regierungserklärung vom 14.03.2003)

 

Wer sind die Langzeitarbeitslosen, die sich in der Hängematte aalen? Es sind zu 60% Arbeitskräfte über 45 Jahre, deren Arbeitskraft oft schon durch Lohnarbeit verschlissen ist.

Was für eine Heuchelei. Die Älteren, deren Trägheit jetzt für ihre Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht wird, gelten in den Unternehmen als Minderleister. Deshalb wurden und werden sie ja verstärkt in die Arbeitslosigkeit bzw. Frührente verabschiedet. Ab 45 gilt man deshalb beim Arbeitsamt schon als schwer vermittelbar. Und die Regierung, die die Ältere der Faulheit beschuldigt, fördert selbst die Ausgliederung von Älteren, in dem sie z.B. die Sozialauswahl verändert und unbeschränkt befristete Arbeit für über 50-jährige erlaubt hat.

Es ist die mit steigender Produktivität sinkende Nachfrage nach der Arbeitskraft Älterer, die zur Langzeitarbeitslosigkeit geführt hat, nicht die Höhe bzw. die Dauer der Arbeitslosenunterstützung oder die mangelnden Eigenbemühungen der Arbeitslosen, die man jetzt endlich einfordern müsste.

 

Die Bundesregierung stellt die Dinge auf den Kopf. Sie greift die Arbeitslosen für etwas an, wofür das Kapital verantwortlich ist. Auch damit zeigt sie, wessen Interessen sie vertritt.

 

III) Sozialabbau, aber zur Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit

Wie haben sich die rd. 200 Gewerkschaftsmitglieder von ver.di, IG Metall usw. im Bundestag und in der Regierung verhalten? Sie haben der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe zugestimmt. Sie fallen damit den Arbeitslosen und allen Lohnabhängigen und natürlich auch den Mitgliedern der Gewerkschaften in den Rücken. Sie verkaufen sie billiger an das Kapital. Daran hört keine Kritik daran von Seiten der Spitzen des DGB. Der DGB hat sich vielmehr darauf beschränkt, durch Gespräche und Verhandlungen, durch Dialog mit den sozialabbauenden Parteifreunden, den Sozialabbau sozial verträglich zu gestalten. Er ist damit völlig gescheitert.

Die letzte Karte waren ein halbes Dutzend Gewerkschaftsmitglieder, sogenannte Rebellen, die sich ihre Ja-Stimme zur Abschaffung der Arbeitslosenhilfe mit ein paar bedeutungslosen Zugeständnissen ebenfalls abkaufen ließen. Wer der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe zustimmt, ist kein Rebell.

Die Frankfurter Rundschau schrieb, dass dieser Widerstand und die minimalen Zugeständnisse die "ungenutzte Kraft" des Parlaments zeigen würde. Das zeigt, welche Zugeständnisse hätten erreicht werden können, wenn die "ungenutzte Kraft" der Millionen LohnarbeiterInnen genutzt worden wäre. Vielleicht wären die Pläne der Regierung und die Regierung selbst daran sogar gescheitert. Aber das wollten alle diejenigen nicht, denen die Regierungsfähigkeit ihrer Partei wichtiger ist als die Interessen der arbeitenden Menschen.

Es gilt als besser, selbst Sozialabbau zu betreiben und das Tarifgefüge der LohnarbeiterInnen mit Hilfe der Arbeitslosen zu untergraben, als es anderen zu überlassen.

 

Die Bundesregierung möchte Sozialabbau und Lohnabbau durchsetzen, aber sozial.

Sozial vor allem deswegen, weil angeblich nur Sozialabbau das Sozialleistungssystem nachhaltig rettet. Eine Illusionspille zwecks Produktion von Hoffnung.

Sozial auch deswegen, weil es besser ist, die Sozialhilfe für Erwerbsfähige nur um einige Prozent zu senken als um die 25% wie es der Deutsche Industrie- und Handelskammertag und ihr Sprecher Edmund Stoiber fordern. Jemanden eine Stunde zu verprügeln und ihm einen Arm dabei zu brechen ist eben sozialer als jemanden zwei Stunden zu verprügeln und ihm zusätzlich noch drei Rippen und ein Bein zu brechen.

Als sozial gerecht ist die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe der Führung von SPD und Grünen vor allem auch deshalb, weil es ungerecht sei, dass langzeitsarbeitslose ArbeitslosenhilfebezieherInnen trotz gleicher Lage mehr bekommen können, als langzeitarbeitslose SozialhilfebezieherInnen, so Schröder in seiner Regierungserklärung vom März.

Sozial verträglich, weil zwar die Leistungen für Hunderttausende von Arbeitslosen erheblich sinken, aber der Fall nach unten für ArbeitslosengeldbezieherInnen durch befristete Zuschläge abgefedert wird und die frisch gebackenen SozialhilfeempfängerInnen Vermögen, das sie sowieso meistens nicht mehr haben, in etwas höherem Umfang behalten können.

Das Soziale heuchelt Verständnis und Rücksichtnahme, wo keine ist. Es ist nur noch das Schmieröl, mit dem der Sozialabbau durchgesetzt wird. Deshalb wurde die SPD in Wiesbaden schon zur Sozialabbau Partei Deutschlands umgetauft und die Gründung einer Kapitalistischen Einheitspartei Deutschlands (KED) vorgeschlagen, zu der sich SPD und CDU vereinigen sollten.

Im SPD-Wahlprogramm 2002 steht noch, dass es ein Zeichen der besonderen Verantwortung für die Schwächeren ist, die Arbeitslosenhilfe nicht auf Sozialhilfeniveau abzusenken. Genauso tönten die Grünen.

Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und die Senkung unter das Sozialhilfeniveau zeigt: Verantwortung für die Schwächeren hat weder die Bundesregierung, noch das Kapital. Das Kapital hat letztlich nur die Verantwortung für seine eigenen Vermehrung. Und die Bundesregierung unterstützt es dabei.

Alle diejenigen, die diese Regierung im Amt halten, setzen sich damit objektiv dafür ein, dass der Sozialabbau ohne Verzögerung umgesetzt wird.

Alle diejenigen, die sich von der SPD und denen mit ihnen verbundenen Gewerkschaftsführern nicht einmachen lassen wollen, können das auf der bundesweiten Demonstration gegen die Agenda 2010 am 1.11. in Berlin zeigen. Sie lässt hoffen, dass die Fähigkeit, die eigenen Interessen den Interessen des Kapitals entgegenzustellen, in Zukunft zunehmen wird. Diese Demonstratin wäre nicht möglich , wenn es nicht Keimformen selbständiger Organisationsformen der LohnarbeiterInnen geben würde.

 

Um selbständig gegenüber den Interessen des Kapitals handeln zu können, ist es aber auch notwendig, im Kopf aufzuräumen. Es ist einmal notwendig, die Propagandaphrasen zu widerlegen, mit denen die Interessen des Kapitals als Allgemeininteressen verkauft werden. Und es ist zweitens notwendig, die eigenen Argumente zu überprüfen.

 

 

IV) Zur Propaganda des Kapitals und der Bundesregierung

Die Agenda 2010 wird damit u.a. begründet, dass der Staat kürzen müsse, weil die Kassen leer sind. Die Sozialleistungen seien nicht mehr finanzierbar. Wer nur seine Besitzstände verteidigt, verkenne die Realität usw..

 

* Die Kassen sind leer

Es stimmt: die Kassen sind leer. Aber wer hat reingegriffen?

 

Die Körperschaftssteuer sank von 23,6 Mrd. im Jahr 2000 auf - 426 Mio. 2001 bzw. 2,8 Mrd. Euro 2002. Und auch 2003 werden nur 6,6 Mrd. erwartet. Das hat den Bundeshaushalt und die Länderhaushalte massiv erschüttert.

Diese gewaltige Steuerreform hatte angeblich den Zweck mehr Investitionen zu finanzieren und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Das Gegenteil war der Fall. Die Nettoinvestitionen der nicht-finanziellen Kapitalgesellschaften brachen nach den neuesten Angaben der Bundesbank von 67 Mrd. Euro im Jahr 2000 auf 48 Mrd. Euro 2001 und 17 Mrd. Euro 2002 ein. (Monatsberichte der Deutschen Bundesbank 6/2003, 35) Die Arbeitslosigkeit stieg um Hunderttausende.

 

Die Gewinnsteuersenkungen dienten ausschließlich der Profitaufbesserung in der Krise. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes blieben die Bruttogewinne aller Kapitalgesellschaften von 2000 bis 2002 etwa gleich. Sie pendelten um 290 Mrd. Euro. 2002 fielen sie um 3,7%. Aber die Nettoprofite waren im Krisenjahr 2002 dank der Steuerreform um 16 Mrd. Euro höher als im Aufschwungjahr 2000. (Fred Schmid, Tatjana Fuchs, Bilanz 2002, isw-wirtschaftsinfo Nr. 35, 34)

Die Steuersenkungen waren ausschließlich ein Mittel des Kapitals, die Folgen der Krise für seine Profite auf den Rücken der Mehrheit der LohnarbeiterInnen abzuwälzen. Denn die Gewinnsteuersenkungen werden mit Ausgabenkürzungen zu Lasten der Arbeitslosen und der LohnarbeiterInnen als Ganze refinanziert.

 

Steuersenkungen sind ebenso Subventionen wie Steuervergünstigungen. Sie sind indirekte Subventionen.

Keine Leistung ohne Gegenleistung, tönt die Bundesregierung gegenüber den Arbeitslosen. Sie setzt das Prinzip "Fördern und Fordern" gegen Arbeitslose durch und bestraft die, die zu wenig Gegenleistung bringen mit der Kürzung oder Streichung der Leistung.

Gegenüber dem Kapital aber heißt das Prinzip der Bundesregierung: Leistung ohne Gegenleistung, Milliarden an Steuersubventionen ohne jede Gegenleistung. Und kein Gedanke an Streichung der Leistung, wenn es keine Gegenleistung gibt. Im Gegenteil: weil es keine Gegenleistung gibt, wird die Leistung erhöht. Die Gewinnsteuern sollen weiter gesenkt werden. Bei Arbeitslosen werden Leistungen gekürzt, um Fehlanreize zu beseitigen. Beim Kapital werden die Leistungen erhöht, um weitere Anreize zu schaffen, die keinerlei Wirkung für die Reduzierung der Arbeitslosigkeit haben.

Die Vermehrung des Kapitals durch Steuersenkungen ist offensichtlich die Gegenleistung an sich, der Anreiz an sich, der Zweck an sich, der Selbstzweck, dem alles unterworfen ist.

Den Zweck, dem Profit um des Profits willen oder der Profitraten willen zu vermehren, können LohnarbeiterInnen nicht anerkennen. Sie haben kein Interesse daran zu verzichten, damit die Nettoprofite der Kapitalgesellschaften in der Krise höher sind als im Aufschwung, während Arbeitslosenunterstützungen, Renten und Löhne sinken.

 

Mit Kürzungen u.a. bei Arbeitslosen (und natürlich bei RentnerInnen) werden die Haushaltslöcher, die der Raubzug der Kapitalgesellschaften an den Staatsfinanzen aufgerissen hat, gewissermaßen rückversichert.

Diese Steuerreform muss rückgängig gemacht werden, wenn man das nicht will.

 

5 Mrd. Euro Körperschaftssteuer jährlich werden nur gezahlt, weil die Steuerprüfung sie aufspürt. Insgesamt versuchen Großunternehmen nach Angaben von ver.di 10 Mrd. Euro jährlich am Finanzamt vorbeizuschmuggeln und werden dabei ertappt. Es gibt nicht genügend Steuerprüfer. Allein bei den Finanzbehörden in Hessen fehlen nach Angaben der hessischen Finanzverwaltung 1.800 Steuerprüfer. (FR 07.10.2003) Die regierenden Parteien sorgen dafür, dass die Kassen von den Konzernen geleert werden und sie sorgen auch dafür, dass sie nicht einmal die Steuern zahlen, die sie zahlen müssten.

Es wäre möglich, die gesamten Kosten der Unterstützungen für Langzeitarbeitslose nur über flächendeckende Steuerprüfungen der großen Unternehmen zu finanzieren. Ganz ohne Steuererhöhung.

Aber lieber steigen Behörden und Medien den Florida-Rolfs und Viagra-Kalles hinterher, die ein paar Dutzend oder ein paar hundert Euro monatlich legal erstritten haben, als den Konzernen, die Milliarden am Finanzamt vorbeischleusen. Sie können die Staatskassen ganz anders plündern als irgendein ehemals selbständiger Sozialhilfeempfänger es kann, der noch irgendwo eine Segelyacht versteckt hat.

 

Die Senkung des Spitzensteuersatzes von 48,5% auf 42%, die erst für 2005 geplant war, wird auf 2004 vorgezogen. Schließlich ist es ein Teil des Kampfs für die soziale Gerechtigkeit, dass die Steuersätze des Mittelstands nach und nach möglichst auf den Satz gesenkt werden, den die Konzerne an Körperschaftssteuer zahlen, nämlich 25%. Die Manager der Banken und Konzerne, aber auch der Kanzler und die Ministerpräsidenten lassen sich über den Bundestag Mehreinnahmen zukommen, während den Arbeitslosen Einkommen entzogen, weil es angeblich Fehlanreize wären. Die Vorstände der Deutschen Bank mit ihren durchschnittlich 7 Mio. € Jahresgehalt bekommen dann rd. 30.000 € mtl. mehr.

Alle die, die den Sozialabbau bei Arbeitslosen organisieren, bedienen sich gleichzeitig selbst mit Steuersenkungen. Die Einkommenserhöhung für sich und die Kürzung bei den Arbeitslosen haben sie am gleichen Tag beschlossen. Und die Gewerkschaftsmitglieder im Bundestag, durch die wirklich ein Ruck gegangen sein muss, stehen in Treue fest zur nationalen Verantwortung, dass die Reichen sich bereichern müssen. Deren Bereicherungstrieb führt allein durch die vorgezogene Senkung des Spitzensteuersatzes zu Steuerausfällen von 6 Mrd. €.  Mit Sozialabbau bei Rentnern und Arbeitslosen wird das refinanziert. Die Spitzenverdiener mit über 50.000 € Jahreseinkommen werden mit insgesamt 10,5 Mrd. € bedient. 

Auch diese Steuersenkungen sind eine Kriegserklärung an die LohnarbeiterInnen, denn diese müssen sie letztlich mit Ausgabenkürzungen bezahlen. Und sollten sie netto mehr in der Tasche haben, werden sie mit höheren Eigenanteilen bei der Sozialversicherung bzw. der Kürzung der Kilometerpauschale zur Kasse gebeten.

Die Steuerreform, sofern sie die Reichen begünstigt, darf weder vorgezogen werden, noch 2005 in Kraft treten.

 

Wenn LohnarbeiterInnen die Rücknahme von Gewinnsteuersenkungen verlangen, verlangen sie nur, dass ein größerer Teil des Profits, den sie selbst erarbeitet haben, für ihre Zwecke zur Verfügung steht.

 

* Die demografische Entwicklung zwingt zum Abbau der Sozialausgaben

Wir haben schon gesehen, dass die steigenden Ausgaben für Arbeitslose ohne Probleme finanzierbar wären, wenn das Kapital die Staatskassen nicht ausplündern würde.

Das Kapital ist aber auch hauptverantwortlich für die Steigerung der Sozialausgaben, die es so laut beklagt.

 

Bergbau und Verarbeitende Industrie haben die Zahl der insgesamt gearbeiteten Arbeitsstunden zwischen 1991 und 2001 um ein Drittel gesenkt, nämlich von 9,2 Mrd. Stunden auf 6,2 Mrd. Arbeitsstunden. (Jahresgutachten des Sachverständigenrats 2002/2003, 461) Phantastisch.

Der Umsatz pro IndustriearbeiterIn stieg von 1991 bis 2001 um das doppelte auf 337.000 Euro pro Arbeiter. (ebenda, 459, 461, eigene Berechnung) Um die Produktivität um 100% zu steigern, wurden 2,1 Mio. Arbeiterinnen und Arbeiter abgebaut. Begünstigt wurde das dadurch, dass die Arbeitszeit faktisch nicht mehr verkürzt wurde. Die Arbeitslosenquote der Arbeiter in Westdeutschland stieg auf rd. 16% im Jahr 2002. Die Arbeitslosenquote der Angestellten ist nur halb so hoch.

 

Vor allem ältere ArbeiterInnen werden nicht mehr gebraucht. Deshalb stieg die Langzeitarbeitslosigkeit auf über 50%. Die mit steigender Produktivität Aussortierten werden vom Kapital in die Arbeitslosigkeit und in die Rente verabschiedet.

Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe sind für etwa eine Million Menschen, überwiegend ArbeiterInnen, schon eine Art Rente. Das sind rd. 20% der Arbeitslosen.

Darüber hinaus ist die Rente für 700.000 Rentner, überwiegend Arbeiter, eine Art Arbeitslosengeld, denn sie sind wegen Arbeitslosigkeit in Rente. Von der wachsenden Zahl der Frührentner wg. Verschleiß ganz zu schweigen. Kein Wunder, dass auch die Rentenversicherung, vor allem die Arbeiterrentenversicherung tief in der Krise steckt.

 

Die "Fehlanreize" des Sozialstaates sind nicht die Ursache der Arbeitslosigkeit. Und die "demografische Entwicklung" ist nicht die Ursache der Krise der Rentenversicherung. Der sogenannte demografische Faktor ist eher ein demagogischer Faktor.

 

Was ist die demografische Entwicklung? Die Bundesanstalt für Arbeit definiert sie als Trend, "dass mehr ältere Menschen aus dem Erwerbsleben ausscheiden als junge nachrücken." (Arbeitsmarktstatistik 2002, 35) Oder anders ausgedrückt: Immer weniger Erwerbstätige müssen immer mehr RentnerInnen ernähren. Deshalb sollen die Renten durch einen "demografischen Faktor" jeweils dann weniger steigen bzw. gesenkt werden, wenn sich dieses Verhältnis zu unungunsten der Erwerbstätigen weiter verändert.

 

Nur, es ist nicht eine demografische Entwicklung, sondern das Kapital, das mit wachsender Produktivität einen geringeren Bedarf an Erwerbstätigen, d.h. an Ware Arbeitskraft hat. Das Kapital, nicht ein Bevölkerungsgesetz, vermindert die Zahl vor allem der erwerbstätigen ArbeiterInnen. Und das Kapital hindert mit steigender Produktivität auch immer mehr junge Leute daran, überhaupt dauerhaft ins Erwerbsleben einzurücken. 30% aller Jugendlichen unter 25 Jahren haben nur eine befristete Stelle, viele Jugendliche sind arbeitslos oder drehen Warteschleifen. Das ist das Problem, nicht die egoistische Zurückhaltung der Kinderlosen, Kinder, d.h. zukünftige LohnarbeiterInnen in die Welt zu setzen. Es gibt keinen Mangel an Arbeitskräften, sondern einen wachsenden Überfluss vor allem an ArbeiterInnen.

 

Vor allem die Arbeiterrentenversicherung ist in der Krise. Die Einnahmen aus den Sozialversicherungsbeiträgen zur Arbeiterrentenversicherung sind in Deutschland von 1991 bis 2000 um nicht einmal 18 Mrd. DM gestiegen. Die Ausgaben für die Arbeiterrenten aber im selben Zeitraum um 81 Mrd. DM.

Die Industrie hat in Gesamtdeutschland in diesem Zeitraum zwei Millionen ArbeiterInnen abgebaut bzw. ein Drittel aller ArbeiterInnen. (Jahresgutachten des Sachverständigenrats 2001/2002, Stuttgart 2001, 427) Die Zahl der Pflichtversicherten sank ebenfalls um zwei Millionen. Gleichzeitig stieg aber der Rentenbestand in der Arbeiterrentenversicherung um über 2 Millionen Personen. (Rentenversicherung in Zeitreihen, Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, Frankfurt Juli 2002, 142)

Das Kapital hat so viele ArbeiterInnen in Deutschland entsorgt, vor allem im Osten, dass heute rd. 40% einer Arbeiterrente vom Staat bezahlt werden müssen, während es 1991 erst 24% waren. (Rainer Roth, Nebensache Mensch, Arbeitslosigkeit in Deutschland, Frankfurt 2003, 434) Denn der Staat ist der Ausfallbürge, der die riesigen Löcher der Arbeiterrentenversicherung genauso deckt wie die riesigen Löcher der Arbeitslosenversicherung. Der Bund ist der Puffer, der die von der Kapitalverwertung verursachte Krise der Sozialversicherung abfedert.

Die Krise der Arbeiterrentenversicherung brach in den neunziger Jahren aus, obwohl die Lebenserwartung männlicher Arbeiter sank und die Versicherungszeiten der RentnerInnen gestiegen sind. Auch die Frühverrentungen haben nicht dazu geführt, dass das durchschnittliche Eintrittsalter in die Rente in den neunziger Jahren bei ArbeiterInnen gefallen wäre.

 

Das Kapital benötigt nur die Menschen als Arbeitskräfte, die der beschränkte, engstirnige Zweck der Kapitalvermehrung zulässt. Und das sind mit steigender Produktivität immer weniger. Für die, die es entsorgt, will das Kapital aber keinerlei Verantwortung übernehmen. Das würde seine Profite beeinträchtigen. Das Kapital verweist die Arbeitslosen und in die Rente Entlassenen auf Eigenverantwortung. Es selbst ist jedoch für nichts verantwortlich, außer für seine eigene Vermehrung. Die Verantwortungslosigkeit gegenüber der Gesellschaft ist die Voraussetzung seiner Eigenverantwortung für sich selbst. Das und nicht der Umstand, dass immer mehr Alte auf immer weniger Junge kommen, macht es notwendig, die Krise der Sozialversicherung auf dem Rücken der RentnerInnen selbst zu "lösen".

 

Diejenigen, die immer weniger Arbeitskräfte für ihre Profitzwecke brauchen und dadurch die Krise der Staatsfinanzen und der Sozialversicherung erzeugen, sollen auch für sie bezahlen. Das muss der Standpunkt der LohnarbeiterInnen sein.

Es muss eine einheitliche Rentenversicherung geben, die die private Rentenversicherung vollständig ersetzt. Kapitalgedeckte Renten sind keine Lösung, sondern dienen nur der Kapitalverwertung der Versicherungskonzerne. Sollten Zuschüsse zur Rentenversicherung notwendig sein, müssen sie aus Unternehmensabgaben gezahlt werden.

 

Die Produktivität der (noch) Beschäftigten ist erheblich gestiegen. Immer weniger Beitragszahler können also auch immer mehr RentnerInnen ernähren, so wie immer weniger Landwirte immer mehr Menschen ernähren oder immer weniger IndustriearbeiterInnen die notwendigen Produkte für immer mehr Menschen erzeugen.

 

Aus Umfragen geht hervor, dass 69% der Befragten glauben, mit Einschnitten bei Sozialleistungen könnten die sozialen Sicherungssysteme weiterhin finanzierbar bleiben. (FR 04.10.2003, 7) Das ist eine Illusion, denn die steigende Produktivität, die daraus entspringende Arbeitslosigkeit und die immer wiederkehrenden Überproduktionskrisen lassen es nicht zu, dass irgendetwas nachhaltig konsolidiert werden kann. Die Reformen dienen nicht der Sicherung der Sozialleistungen, sondern dem Abbau. Genauso wie Entlassungen auch nicht der Sicherung der verbleibenden Arbeitsplätze dienen, sondern nur der Vorbereitung weiterer Entlassungen.

 

Das Kapital selbst erzeugt, das periodisch immer wieder wesentlich mehr Waren und Kapital produziert, als auf den Märkten verkaufbar und verwertbar wäre. Es sind Überproduktionskrisen, die sich in geringeren Wachstumsraten wiederspiegeln. Nicht die Regierungspolitik, sondern das Wirtschaftssystem ist dafür verantwortlich.

Diejenigen, die die Krise verursachen, sollen auch für sie aufkommen, wenn sie es nicht besser können.

Wir sehen mit der Agenda 2010 das genaue Gegenteil: Die LohnarbeiterInnen sollen nach dem Willen der Parteien des Kapitals für die Krise aufkommen.

Das Kapital will Löhne in Kapital verwandeln, ebenso wie Sozialversicherungsbeiträge, Arbeitslosenunterstützungen, Sozialhilfe, Steuern, Staatsausgaben, Staatsunternehmen usw., um die Renditen zu erhöhen, die in der Wirtschaftskrise fallen. Es will sich selbst auf Kosten der Mehrheit aus der Krise retten. Das ist der einzige Zweck der Agenda 2010, der  Steuerreformen, der Rentenreformen, der Gesundheitsreformen usw..

Nur wenn die LohnarbeiterInnen die Valiumtabletten leerer Versprechungen nicht mehr schlucken, nur wenn sie nicht auf ihre Kappe nehmen, was das Kapital zu verantworten hat, können sie die notwendige Entschlossenheit aufbringen, sich zu verteidigen.

 

V) Zum Widerstand gegen die Agenda 2010

Schröder und Fischer behaupten: Zur Agenda 2010, d.h. zu massiven Kürzungen bei den LohnarbeiterInnen, ob beschäftigt, arbeitslos oder in Rente, gibt es keine Alternative. Dasgleiche behauptet Roland Koch über sein Sparpaket. Letztlich geht es darum, dass es zur Unterordnung unter die Interessen des Kapitals keine Alternative geben soll. Regierungen und Parteien, die so reden, streben den Ausschluss der LohnarbeiterInnen aus dem politischen Leben an. Sie wollen resignierte und ohnmächtige Unterordnung.

Die arbeitenden Menschen sollen ihr Schicksal ein paar Funktionären aus Politik und Wirtschaft überlassen. Die Deutsche Demokratische Republik lebt.

 

Was die SPD gemeinsam mit ihrer Schwesterpartei CDU umsetzt, entspricht der Richtung, die die Dachorganisation der Arbeitgeberverbände vorgibt. Es geht im gesamten politischen Leben in Berlin nur um das Tempo, mit der die Ziele des Kapitals umgesetzt werden, nur um die Taktik, nur um das Ausmaß der Zugeständnisse an die arbeitende Bevölkerung.

 

Infratest hat in einer Umfrage festgestellt, dass 71% der Befragten glauben, dass die Reformvorhaben der SPD zu sehr auf die Bedürfnisse der Wirtschaft ausgerichtet sind und die Bedürfnisse der kleinen Leute zu kurz kommen. (FR 04.10.2003) Immer noch glauben viele, dass es einen gerechten Ausgleich zwischen Arm und Reich, zwischen Kapital und LohnarbeiterInnen geben könnte.

 

Und deshalb richten sich die Argumente der Kritiker der Agenda 2010 vielfach weniger an die Menschen, die unter die Räder kommen, sondern an das Kapital selbst, damit es sozial ausgewogener wird und soziale Schieflagen bei den Reformen beseitigt.

Es soll davon überzeugt werden, dass die Sparmaßnahmen letztlich gar nicht in seinem Interesse liegen würden.

 

Arbeitslose als Kaufkraftfaktor

Weit verbreitet ist das Argument, dass die Kürzungen bei Arbeitslosen die Kaufkraft schwäche und damit auch den Unternehmen schadeten, die weniger Waren verkaufen und deshalb weniger Gewinne machen könnten.

Es stimmt, dass Einzelhändler, Gastronomen, Bäcker usw. unter der Senkung der Arbeitslosenunterstützung ebenfalls leiden.

Der Appell an das Kapital, aus eigenem Profitinteresse die Arbeitslosen zu schonen, verkennt aber, dass die Profitinteressen des Gesamtkapitals eben gerade durch die Kürzungen besser befriedigt werden. Denn die Steuersenkungen zu refinanzieren, das Lohnniveau zu drücken und die Aussicht auf die Senkung der Arbeitgeberbeiträge zur Arbeitslosenversicherung sind erheblich stärkere Profitanreize als die Aussicht, dass Arbeitslose noch einen Milchkaffee im Bistro um die Ecke trinken können.

Das Kapital soll der Verbündete der Arbeitslosen sein. Problem ist nur, dass es noch nichts davon weiß. Also muss es ihm erklärt werden. Auf dieser Basis ist keine selbständige Interessenvertretung der Arbeitslosen möglich. Sie dürfen ihre Interessen nämlich nur vertreten, wenn sie ihren Nutzen für das Kapital nachweisen. Sie haben keinen Nutzen in sich selbst, als Menschen mit berechtigten Bedürfnissen. Mit dieser Haltung kommen wir nicht weiter.

Die theoretische Grundlage dieser leicht unterwürfigen Haltung hat der "SPD-Rebell" Ottmar Schreiner so formuliert:" Ursache für die ökonomischen Probleme ist zu allererst die schwache Nachfrage auf dem Binnenmarkt." (metall 5/ 2003, 9) Folglich müsste das Kapital, um die ökonomischen Probleme zu lösen, Löhne und Sozialleistungen erhöhen. Das würde aber seine Profite beeinträchtigen. Und es will einfach nicht einsehen, dass ein gegenwärtiger Profitverzicht zugunsten der LohnarbeiterInnen langfristig höhere Profite einbringen würde.

 

Angriff auf den Sozialstaat

Oft wird erklärt, dass mit der agenda 2010 das Sozialstaatsprinzip angegriffen würde oder sogar der Sozialstaat zerschlagen würde.

Der Angriff richtet sich aber nicht gegen den Staat, sondern gegen die Arbeitslosen und vor allem die Gesamtheit der LohnarbeiterInnen. Man müsste also aufzeigen, wie dieser Angriff auf die Arbeitslosenhilfe auf die Löhne wirkt, von wem er ausgeht und wem er nützt. Das ist die Grundlage für das Bündnis zwischen arbeitslosen und beschäftigten LohnarbeiterInnen, das notwendig ist, um die Konkurrenz der LohnarbeiterInnen untereinander abzumildern..

Stattdessen wird eine Argumentation aufgebaut, dass die LohnarbeiterInnen eine Erscheinungsform des Staats verteidigen müssen und sich der Angriff gegen den gegenwärtigen Staat richtet.

Dabei haben gerade Arbeitslose keine guten Erfahrungen mit dem sogenannten Sozialstaat gemacht, der ihnen in Form von Arbeitsämtern und Sozialämtern entgegentritt. Von Sozialhilfe z.B. kann man kaum leben. Und jetzt sollen sie ihn verteidigen?

Warum dürfen sie sich nicht selbst verteidigen, einfach als Menschen? Es ist richtig, dass die Interessen von Arbeitslosen auch eine gesetzliche Form haben müssen. Aber vorrangig sind ihre Bedürfnisse, die sie ohne den Umweg über die Interessen des Kapitals und ohne Umweg über die Interessen des Sozialstaates verteidigen sollten.

 

Angriff auf den sozialen Frieden?

Immer wieder hört man, dass nicht gekürzt werden sollte, um den sozialen Frieden nicht zu gefährden. In Hessen gibt es Aufrufe des DGB und der Wohlfahrtsverbände, dass die Kürzungen bei sozialen Einrichtungen den sozialen Frieden gefährden würden und deswegen im eigenen Interesse derjenigen, die die Kürzungen durchsetzen wollen, unterbleiben sollten.

Das bedeutet: Arbeitslosenunterstützung soll nicht etwa in ausreichender Höhe gezahlt werden, weil Menschen das brauchen, sondern damit sie friedlich bleiben und nicht unruhig werden. Stütze als eine Art Ruhestandsgeld und Schweigegeld.

 

Das Kapital soll davon überzeugt werden, dass es dafür zahlen soll, wenn es seine Ruhe haben will.

Was aber, wenn es den sozialen Frieden auch billiger haben kann? Haben die Führer der DGB-Gewerkschaften nicht bewiesen, dass sie gegen den größten Angriff auf die LohnarbeiterInnen nicht einmal zu einer bundesweiten Demonstration von Hunderttausenden aufrufen, geschweige denn einen Generalstreik vorbereiten? Der soziale Friede ist also auch billiger zu haben.

Angesichts dessen, dass Beschäftigte gegen Arbeitslose und Arme aufgehetzt, dass Junge gegen Alte aufgebracht werden, die ihnen angeblich auf der Tasche liegen, kann man gar nicht davon sprechen, dass das Kapital den sozialen Frieden will. Es will nur, dass die LohnarbeiterInnen mit dem Kapital und seiner Profitsucht Frieden schließen. Das setzt den maximalen Unfrieden innerhalb der Reihen der LohnarbeiterInnen voraus.

Umgekehrt: der soziale Frieden unter den Lohnabhängigen setzt voraus, dass man gemeinschaftlich vorgeht und keinen Frieden mit dem Kapital schließt.

 

Verteilungsgerechtigkeit

Es ist völlig klar, dass Forderungen gegenüber dem Kapital aufgestellt werden müssen, in denen sich die Interessen der LohnarbeiterInnen ausdrücken. Sie reichen von ausreichenden Mindestlöhnen, über 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich usw. bis zu einer ausreichende Grundsicherung für alle Arbeitslosen und RentnerInnen.

Es ist auch richtig, dass die LohnarbeiterInnen einen ungeheuren Reichtum geschaffen haben, der objektiv ausreichen würde, um solche Forderungen zu befriedigen. Mehr noch, das Kapital weiß mit diesem Reichtum immer weniger anzufangen und verzockt ihn zum guten Teil.

Es muss also Geld umverteilt werden. Im Wunsch nach gerechtigkeit drückt sich der Wunsch nach anderen Verhältnissen aus.

Was aber, wenn die Verhältnisse, in denen das Kapital regiert, dazu führen, dass immer die Zahl der Überflüssig gemachten Arbeitskräfte mit steigender Produktivität zunimmt, dass immer mehr Selbständige baden gehen und die Verfügung über Kapital sich in immer weniger Händen konzentriert, dass folglich die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden? Eine Welt, in der die Schere zwischen Armut und Reichtum aufgrund der Logik der Kapitalverwertung immer mehr auseinandergeht, in der die Manager sich selbst bedienen und die ArbeiterInnen für immer weniger Geld mehr arbeiten müssen, eine Welt, in der die Schickeria an einem Wochenende auf den Kopf hauen kann, wofür andere ein Jahr arbeiten müssen, eine solche Welt, die auf privater Bereicherung, nicht auf Solidarität beruht, kann nicht gerecht sein.

Auch wenn die Gewinnsteuern wieder erhöht würden und die Vermögenssteuer wiedereingeführt wäre, wäre keine Steuergerechtigkeit hergestellt, denn die Steuerquote des Kapitals ist immer noch langfristig gefallen, während die der LohnarbeiterInnen gestiegen ist.

Das Kapital wünscht keine soziale Gerechtigkeit, bei der es die Berge an Reichtum, die es aus der Arbeit der LohnarbeiterInnen gezogen hat, an Bedürftige zurückverteilt. Würde es das wollen, wäre es kein Kapital mehr.

 

Schluss

Schröder sagte am 1. Mai in Neu-Anspach:" Wer glaubt festzuhalten an dem, was althergebracht ist, der verkennt die Herausforderungen."

Genau.

Althergebracht ist zu glauben, dass die Probleme dieser Gesellschaft gelöst werden können, wenn man nur die Privatinteressen des Kapitals und der Reichen befriedigt, wenn man auf ein Bündnis mit dem Kapital hofft, um die Problem zu lösen.

Die Hoffnungen, die sich darauf richten, sind realitätsferne Träumereien.

 

Wir brauchen radikale Reformen. Wir können uns nicht darauf beschränken, den gegenwärtigen Zustand zu verteidigen. Wir brauchen aber keine Reformen, die nur dem Zweck dienen, die Sonderinteressen der Kapitalbesitzer zu befriedigen.

 

* Die Sozialversicherung muss komplett umgebaut werden, nicht zugunsten der Allianz, sondern gegen sie.

* Es geht nicht mehr so weiter, sagt die Regierung. Das stimmt.

Es geht nicht mehr so weiter, dass die Produktivität, statt Quelle wachsenden Wohlstands der arbeitenden Menschen zu sein, dazu genutzt wird, um den Lebensstandard derjenigen immer weiter abzusenken, die den Reichtum produzieren. Dazu genutzt, die Arbeitszeit zu verlängern, statt sie zu verkürzen, dazu genutzt wird, den Konkurrenten mitsamt ihrer Beschäftigten in den Ruin zu treiben, statt allen zu gute zu kommen.

Die Produktivität muss den LohnarbeiterInnen in Form von massiven Arbeitszeitverkürzungen zugute kommen.

 

* Es geht nicht mehr so weiter, dass Menschen Nebensache sind und die Renditen von Einzelunternehmen die Hauptsache. Besitzstände müssen angegriffen werden, vor allem die Besitzstände derer, die lieber Milliarden auf den Finanzmärkten verspekulieren, als dazu beizutragen, dass es überall Ganztagsschulen gibt, dass Kindergärten gebührenfrei sind, dass es genügend billigen Wohnraum gibt.

 

* Diejenigen, die alle Reichtümer erzeugen, sollen auch ordentlich leben können. Wir brauchen Mindestlöhne oberhalb der Sozialhilfe, keine Billiglöhne, von denen man seine Miete nicht mehr zahlen kann. Wir brauchen das nicht in erster Linie aus volkswirtschaftlichen Gründen, nicht wegen der Kaufkraft, damit Waren gekauft werden können, sondern um der Tendenz entgegenzutreten, dass das Kapital die Löhne immer weiter unter das Existenzminimum senkt.

Wenn man nicht mehr ertragen kann, dass die LohnarbeiterInnen und insbesondere die Arbeitslosen zum Sündenbock für alle Probleme gemacht werden, dann muss man sich damit beschäftigen, wie dieses Wirtschaftssystem, wie die Kapitalverwertung die Probleme erzeugt, die sie ihren Opfern anlastet. Nur dann kann man sich letztlich offensiv verteidigen.

 

Die Masse der LohnarbeiterInnen will nicht einsehen, dass ihr Interesse darin besteht, sich selbst die Löhne und Leistungen zu kürzen, die Arbeitszeit zu verlängern und sich das Leben immer schwerer zu machen. Sie will nicht einsehen, immer mehr zu arbeiten, um immer weniger dafür zu bekommen und dennoch in wachsender Existenzunsicherheit zu leben. Sie will nicht einsehen, dass es in Ordnung ist, wenn angebliche Leistungsträger und die Schickeria an einem Wochenende verjubeln, wofür sie ein Jahr arbeiten müssen und auch noch Opfer von den Malochern verlangen. Sie will nicht einsehen, dass Menschen Nebensache und die Kapitalvermehrung Hauptsache ist.

Die LohnarbeiterInnen wollen letztlich eine Gesellschaft, in deren die Interessen der Mehrheit im Mittelpunkt stehen und nicht die einer Minderheit.

 
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Stand:12. Dezember 2012