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Rainer Roth

Zu den ökonomischen Hintergründen der Agenda 2010

Vortrag bei attac Aschaffenburg 28.05.2003

 I

Arbeitslosigkeit mit Senkung der Unterstützungen bekämpfen?

Bundesregierung, Arbeitgeberverbände und Ökonomen wissen, wo die wahren Ursachen der gegenwärtigen Krise und der steigenden Arbeitslosigkeit liegen. Sie liegen bei den Arbeitslosen selbst.

Die Arbeitslosenunterstützung ist zu hoch. Deshalb lohne es sich nicht zu arbeiten.

100 Ökonomen um DIW-Chef Zimmermann z.B. befürworten die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe, damit "es sich für die Arbeitnehmer wieder lohnt, eine Arbeit aufzunehmen." (FTD 26.05.2003)

Es geht angeblich hauptsächlich darum, "Fehlanreize" beseitigen. Das Sozialleistungssystem reizt angeblich dazu an, arbeitslos zu werden bzw. zu bleiben. Da man die Ursachen an der Wurzel packen muss, setzt die Agenda 2010 den Hebel dabei an, "Arbeitsanreize" (Schröder) für die trägen Arbeitslosen zu schaffen.

Wie?

Die Arbeitslosenhilfe soll abgeschafft (auf marketing-Deutsch: Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe) und die Dauer des Bezugs von Arbeitslosengeld für über 45-jährige soll erheblich verkürzt werden. Arbeitslose sollen erheblich schneller in die Sozialhilfe abgedrängt werden. Ausgerechnet Sozialhilfe soll den  "Anreiz" zu arbeiten abgeben, obwohl die Propaganda doch immer behauptet, dass gerade die Sozialhilfe die reinste Hängematte für Faulenzer sei. Doch wenn man die ArbeitslosenhilfebezieherInnen in die Sozialhilfe verschaffen will, muss man natürlich die "Vorteile" der Sozialhilfe hervorheben. Wenn man die Sozialhilfe kürzen will, muss man sie als Hängematte darstellen.

Also: je schlechter es einem geht, desto höher wird der Arbeitsanreiz und desto niedriger die Arbeitslosigkeit. Der Anreiz ist dann am höchsten, wenn man gar keine Sozialhilfe mehr bekommt. So wie in den USA. Das ist die zu Ende gedachte Logik.

Dummerweise ist aber die Arbeitslosigkeit in den USA mindestens so hoch wie in Deutschland. (Roth, Nebensache Mensch, Frankfurt 2003, 186-206)

Die neue Sozialhilfe für Arbeitsfähige wird beschönigend Arbeitslosengeld II genannt, obwohl es sich um Sozialhilfe handelt. Als wichtiger Zweck wird die Entbürokratisierung vorgeschoben (ein Amt für eine Person). Doch nur 132.000 von 1,4 Mio. Arbeitslosenhilfebeziehern beziehen ergänzende Sozialhilfe. Eine merkwürdige "Entbürokratisierung", die für 80% der Betroffenen erhebliche Senkungen ihres Einkommens bedeutet. Außerdem entstehen mit dem Arbeitslosengeld II zahllose neue Ansprüche auf Sozialhilfe, da es -ähnlich wie die Grundsicherung für alte Menschen- zu niedrig bemessen sein wird.

 Was bedeutet Sozialhilfebezug?

Offiziell sind für einen Haushaltsvorstand 5 Euro am Tag Essen und Trinken, sowie "Verzehr außer Haus" vorgesehen. Ein Capuccino im Cafe bringt den ganzen Tagesbedarf durcheinander. In der Regel muss mit weniger als 5 Euro am Tag auskommen. Alles, was das Leben angenehm, ist für SozialhilfebezieherInnen Luxus.

 Weil also Arbeitslosenunterstützung zu hoch ist, besetzen die offiziell 4,5 Millionen Arbeitslosen die offiziell 400.000 offenen Stellen nicht? Die Ursache für diese Differenz liegen aber woanders.

Offene Stellen sind im Durchschnitt nur einige Monate offen, bis sie besetzt werden und Arbeitslose sind nicht ewig arbeitslos, sondern im Durchschnitt sieben Monate (in Westdeutschland). Der Unterschied ergibt sich aus der Tatsache, dass Arbeitskräfte ihre Arbeitskraft auf einem Arbeitsmarkt verkaufen müssen. Bis hier ein Käufer eine passende Ware findet, braucht es eben seine Zeit. Das gilt für alle anderen Waren auf den Gütermärkten auch.

 Nicht der Umstand, dass die Verkäufer der Ware Arbeitskraft ihre Ware nicht verkaufen wollen, ist entscheidend.

Sondern: die Nachfrage nach Arbeitskraft sinkt mit steigender Produktivität der Arbeitskräfte. Deshalb erzeugte das Wirtschaftssystem in den letzten 30 Jahren eine wachsende Schere zwischen arbeitssuchenden Arbeitskräfte und relativ dazu geringer werden offenen Stellen.

 Von 1991 bis 2000 z.B. ist die Produktivität von IndustriearbeiterInnen um 75 % gestiegen. Das Kapital nutzte die Produktivität, um die Zahl der IndustriearbeiterInnen um ein Viertel zu vermindern. Die Arbeitslosenquote von ArbeiterInnen war im Jahr 2000 14,2%, die der Angestellten 6,4%. Arbeitslosigkeit ist in erster Linie ein Problem der ArbeiterInnen. Das Kapital braucht eben immer weniger ArbeiterInnen.

Das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen hat zwischen 1991 und 2000 um 3 Mrd. Stunden abgenommen. Eine an sich erfreuliche Tatsache. Aber die Freigesetzten finden nur dann ein Einkommen, wenn sie wieder einen Käufer finden, der an ihnen verdienen kann. Und daran mangelt es. Man braucht einfach nicht mehr soviele Arbeitskräfte, um Profit zu machen.

 Problem ist nicht also nicht die Faulheit, das "Besitzstandsdenken" und die "Anspruchsmentalität" der LohnarbeiterInnen. Problem ist das Wirtschaftssystem, in dem jeder Einzelbetrieb mit wachsender Produktivität die überflüssig gewordenen dem Arbeitsamt oder sich selbst überlässt. Das wird dann "Eigenverantwortung" genannt.

 II

Die Arbeitskräfte über 45 Jahre sind schuld?

Die Agenda 2010 greift vor allem diejenigen an, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, die sogenannten Langzeitarbeitslosen.

Die Arbeitslosenhilfe, die abgeschafft werden soll, gibt es erst nach Auslaufen des Bezugs von Arbeitslosengeld.

Schröder:" Wir setzen damit (mit der Agenda 2010) ein deutliches Signal für diejenigen Menschen in unserer Gesellschaft, die länger als zwölf Monate arbeitslos sind. Niemand ... wird es künftig gestattet sein, sich zulasten der Gemeinschaft zurückzulehnen." (Regierungserklärung vom 14.03.2003)

 Zur Erinnerung: die zunehmende Dauer der Arbeitslosigkeit ist nicht eine Folge zunehmender Faulheit, sondern der mit steigender Produktivität sinkenden Nachfrage nach Arbeitskraft.

 Wer sind die "Langzeitarbeitslosen"? Es sind zu 70% Arbeitskräfte über 45 Jahre. Sie sollen auf Trab gebracht werden.

Die Älteren sind aber vor allem deshalb arbeitslos, weil sie der Bedarf an Arbeitskraft gesunken ist und die die Schwächsten zuerst fliegen. Ältere gelten als Minderleister und deshalb ab 45 als schwer vermittelbar. Sie sind im Durchschnitt zu teuer, haben zu viele Fehlzeiten, sind weniger belastbar und genießen erhöhten Kündigungsschutz usw.. Ältere gelten deshalb als "Schwach-Performer", wie infineon-Chef Schumacher die Minderleister bezeichnet.

Deshalb hat das Kapital mit steigender Produktivität ein steigendes Interesse, die Älteren in die Arbeitslosigbkeit oder die Frührente zu schicken. Besonders in den 90er wurden Hunderttausende in den Vorruhestand bzw, die Rente wegen Arbeitslosigkeit ab 60 geschickt oder eben in die Arbeitslosigkeit. Die Entsorgen der Älteren war eine Voraussetzung für die ungeheueren Produktivitätssteigerungen.

Die Altersgrenze, ab der die Nachfrage nach Arbeitskraft abnimmt, sinkt immer tiefer, je größer der Arbeitsstress wird, je mehr die Arbeitskräfte verschlissen werden.

 60% aller Betriebe beschäftigen heute niemanden mehr, der älter ist als 50 Jahre. Als Siemens die Entlassung von Hunderten von Spezialisten aus der Hoffmannstr. in München bekanntgab, waren überwiegend Ältere über 45 darunter, darunter zahlreiche, die eigentlich gar nicht mehr gekündigt werden konnten. Das zeigt die Haltung des Kapitals gegenüber älteren Arbeitskräften deutlich. Sie werden ihm immer mehr lästig.

Dieselbe Bundesregierung, die gegen die Älteren zu Felde zieht, um sie zur Arbeit anzureizen, unterstützt die Unternehmen energisch dabei, ältere Arbeitskräfte immer früher loszuwerden. Das erste Hartz-Gesetz sieht für Ältere ab 50 vor, dass sie bis zur Rente ohne Grund befristet eingestellt, d.h. ohne Probleme entlassen werden können.

Die Bundesregierung will die Sozialauswahl des Kündigungsschutzes so ändern, dass Ältere leichter entlassen werden und die jüngeren "Leistungsträger" eher bleiben können. Denn die schlechte Vermittelbarkeit auf dem Markt für Arbeitskraft soll kein Grund mehr sein, nicht entlassen zu werden.

Die Regierung selbst fördert die Entlassung von Älteren und macht sie dennoch für ihre Arbeitslosigkeit verantwortlich. Und sie redet auch noch von "sozial ausgewogen" und "gerecht".

 Die sozialdemokratisch-grüne Regierung konzentriert ihre ganze Energie darauf, den über 45-jährigen die Schuld für ihre Arbeitslosigkeit selbst in die Schuhe zu schieben.

Ältere gelten als "Problemgruppe" bzw. "Risikogruppe".

Aber ist nicht eher das Kapital eine Problemgruppe, das die Erfahrung des Alters dem Profit opfert, das Menschen rücksichtslos auspresst und dann wegwirft, wie in der Wegwerfgesellschaft üblich?

Im Fußball bekommen Spieler, die anderen absichtlich den Ellbogen ins Gesicht rammen, die rote Karte. Die Agenda 2010 ist ein schweres Foul an den älteren Arbeitskräften. Warum bekommt die Regierung nicht die Rote Karte? Ganz abgesehen von der "Opposition", der die Agenda 2010 noch zu harmlos ist und die ein noch härteres Vorgehen gegen die älteren Arbeitskräfte verlangt.

 Auch mit Jugendlichen kann das Kapital immer weniger anfangen. Sie sind ebenfalls zu teurer und bringen nicht genug Profit.

Deshalb explodiert die Jugendarbeitslosigkeit. Mit steigender Produktivität brauchen die Unternehmen immer weniger Nachwuchs. Insbesondere nicht den Nachwuchs von Arbeiterfamilien. Nur noch ein Viertel der Betriebe bildet aus.

 Wenn das Kapital mit immer weniger Menschen etwas anfangen kann und sie in Arbeitslosigkeit und Rente schickt, dann soll es aus den von allen erwirtschafteten Gewinnen auch für die entsprechend steigenden Kosten aufkommen. Das gilt nicht nur für die Ausbildung aller Jugendlichen, um deren Arbeitslosigkeit wenigstens zeitweise zu verhindern, sondern auch für die Bezahlung der Kosten der Arbeitslosigkeit insgesamt.

Es soll die Verantwortung selber tragen und nicht verantwortungslos auf die arbeitslos Gemachten selbst abschieben. Wer einen Unfall verursacht, muss dafür haften. Wer Arbeitslosigkeit verursacht und damit die Energien von Millionen Menschen bremst und verschleudert, der soll ebenfalls dafür haften und sich nicht mit Hilfe der Regierung aus der Verantwortung stehlen.

 III

Die besondere Verantwortungslosigkeit der Regierung

"Wir bekennen uns zu unserer besonderen Verantwortung gegenüber den Schwächeren in dieser Gesellschaft. Deswegen wollen wir im Rahmen der Reform der Arbeitslosen- und Sozialhilfe keine Absenkung der zukünftigen Leistungen auf Sozialhilfeniveau."

So die SPD in ihrem Regierungsprogramm 2002-2006.

 Nach der Wahl strebt die SPD-Spitze die Absenkung auf Sozialhilfeniveau an. Sie kennt keine "besondere Verantwortung gegenüber den Schwächeren" mehr. Das Bekenntnis war ein Meineid.

Schröder hat sein Wahlvolk unverblümt verkohlt.

Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und die Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes sind uralte Forderungen der Arbeitgeberverbände. Der Wahlbetrug zeigt, dass sich die Regierung ausschließlich dem Kapital gegenüber verantwortlich fühlt.

Das bedeutet es, wenn der Kanzler von 1 zu 1 durchsetzen spricht. 1 zu 1 die Interessen des Kapitals durchsetzen, ohne Kompromisse.

Es gelten nur noch die Interessen des Kapitals. Basta.

 Die Einschüchterungsversuche sollen verhindern, dass zu viele Zugeständnisse gemacht werden müssen.

Die Zugeständnisse sind nur Kosmetik. Sie verlangsamen den freien Fall der Arbeitslosen in die Sozialhilfe nur. Das ändert nichts daran, dass die ganze Richtung der Agenda 2010 mit den Interessen der LohnarbeiterInnen nichts zu tun hat.

Die Unternehmen haben keine besondere soziale Verantwortung für die Älteren, und auch nicht für Jugendliche. Sie sind nur der Vermehrung ihres Kapitals verantwortlich. Und die Regierung hat auch keine besondere Verantwortung für Arbeitslose. Sie diffamiert sie.

Die Arbeitslosen und alle LohnarbeiterInnen müssen selbst die Verantwortung für sich tragen und sie nicht in die Hände von Leuten legen, die sie aus ihren Eigeninteressen heraus gar nicht wahrnehmen können.

Mandanten, die von ihren Anwälten betrogen und bekämpft werden, wird das Vertrauen und das Mandat entzogen. Sollte das nicht überall gelten?

 IV

Arbeitslose sollen Steuerausfälle aufgrund der Gewinnsteuersenkungen finanzieren

Warum die Agenda 2010? Der erste Gedanke gilt den Einsparungen von Sozialleistungen. Deshalb wird die Agenda als "Angriff auf den Sozialstaat" usw. bezeichnet. Die Krise der Staatsfinanzen zwingt zu Einsparungen. Die Streichung der Arbeitslosenhilfe bringt 6 Mrd. Euro. Das soll Wachstumskräfte freisetzen.

 Schauen wir uns die Staatsfinanzen näher an.

Die Gewinnsteuern (Körperschaftssteuer, veranlagte Einkommenssteuer und Gewerbesteuer) fielen vor allem aufgrund der Steuerreform von 2000 auf 2001 um über 30 Mrd. Euro. Das riss gewaltige Löcher in die Haushalte. Die Steuerreform wurde als der "erste Schritt" zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bezeichnet (Schröder in seiner Regierungserklärung 1998).

 Das Kapital hat Dutzende Milliarden Euro bekommen, mit dem angeblichen Ziel, dafür mehr zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Nichts davon ist geschehen. Mit Beginn der Steuerreform 2001 halbierten die Kapitalgesellschaften ihre Investitionen.

2001 gab es offiziell gerade mal 37.000 Arbeitslose weniger als 2000. 37.000 Arbeitslose weniger für 30 Mrd. Euro Gewinnsteuern! Für schlappe 810.000 Euro gab es jeweils einen Arbeitslosen weniger. Man sieht, wieviel die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit der Regierung und dem Kapital wert ist.

2002 stieg trotz der Milliardensubventionen die Zahl der Arbeitslosen und die Zahl der Arbeitsplätze sinkt. Die Investitionen fielen weiter. Am Ende wurden 50-60 Mrd. Euro den Unternehmen als "Subvention" als Steuergeschenk gegegen und als "Gegenleistung" gab es 400.000 Arbeitslose mehr und 900.000 Erwerbstätige weniger.

Die Steuerreform war kein "erster Schritt" zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, sie war überhaupt kein Schritt zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Sie diente ausschließlich der Sanierung der Unternehmensbilanzen

 Wenn Arbeitslose Geld bekommen, wird ständig hinterfragt, wie hoch die Wiedereingliederungsquote in den ersten Arbeitsmarkt ist. Ist sie zu gering, werden Gelder gestrichen. Arbeitslose werden nach dem Prinzip behandelt. "Keine Leistung ohne Gegenleistung." Für sich selbst erkennt das Kapital das nicht an. Es bezieht Milliarden an Leistungen ohne eine einzige Gegenleistung.

Und niemand fragt nach, wo die Milliarden geblieben sind, die das Kapital abkassiert hat. Es gibt keine Evaluation und kein Controlling. SozialhilfebezieherInnen, die ein paar Tausend Euro im Jahr bekommen, ohne etwas dafür leisten zu wollen, werden als Schmarotzer bezeichnet. Wie bezeichnet man das Kapital, das Milliarden Euro abgreift, ohne etwas dafür "leisten" zu wollen?

Die Milliarden wurden verwandt, um sie an Aktionäre auszuschütten, um Finanzanlagen im Ausland zu kaufen und andere Firmen zu übernehmen und damit noch mehr Arbeitsplätze wegzurationalisieren. Oder sie dienten einfach dazu, die Prozentsätze der Renditen zu steigern bzw. am Rande auch, dass sich die Privateigentümer neue Yachten und Villen kaufen konnten.

 Da die Steuerreform ihren angegebenen Zweck nicht erfüllt, muss sie rückgängig geamcht werden. Das wäre die Alternative der LohnarbeiterInnen. Dann wäre wieder Geld in den Staatskassen, um die vom Kapital arbeitslos gemachten LohnarbeiterInnen zu unterstützen, die Löcher in den Sozialversicherungen zu finanzieren, die die vom Kapital erzeugte Arbeitslosigkeit aufreißt bzw. notwendige öffentliche Investitionen zu tätigen.

Dasgleiche gilt für die Vermögenssteuer für die Reichen. SPD-Generalsekretär Scholz hält es für "absurd", sie wiedereinzuführen. Obwohl hier 14,9 Mrd. Euro zu holen wären (bei einem Steuersatz von 1%).

Er hält es jedoch nicht für absurd, das Vermögen der ArbeitslosenhilfebezieherInnen wegsteuern. Und zwar nicht it 1%, sondern mit 50% und mehr. Das ist nicht absurd. Auch das geht noch akls Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit durch. Dennes wäre wirklich ungerecht, den Reichen etwas zu nehmen, wo sie doch andere so hart für ihren Reichtum haben arbeiten lassen. Leistung - in diesem Sinne - muss sich doch lohnen.

 Welchen Zweck hat es also, den Arbeitslosen die Margarine vom Brot zu nehmen?

a) Die Kürzung sollen die Steuerausfälle der Gewinnsteuersenkungen "refinanzieren".

b) Sie sollen weitere Steuersenkungen finanzieren.

Die Bundesregierung plant weitere Steuersenkungen. Sie will den Spitzensteuersatz der Einkommensteuer senken. Und sie will die Besteuerung für Zinseinkünfte für Spitzenverdiener auf 25% senken. (Abgeltungssteuer)

6 Mrd. Euro bringt die Senkung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer. Die Arbeitslosenhilfebezieher sollen sie aufbringen, damit z.B. die Vorstände der Aktiengesellschaften endlich weiter in die Nähe des gerechten Einkommens kommen, das sie - verglichen mit den USA - eigentlich haben müssten.

Es muss gerade umgekehrt sein. Nicht die Arbeitslosen sollen für die Vermehrung des Reichtums einiger weniger aufkommen. Sondern die, die ihren Reichtum dadurch erwirtschaften, dass sie Arbeitskräfte arbeitslos machen, sollen für die Arbeitslosen aufkommen.

Obwohl die Steuerreform keine einzige Investition gebracht hat, verkündet Arbeitgeberpräsident Hundt unbeirrt:

"Das beste Investitionsförderprogramm sind Steuersenkungen auf breiter Basis." (Hundt PI 14.03.2003 BDA) Mehr als leere Propaganda, um das Privatinteresse an Bereicherung zu vertuschen, ist nicht drin. Hundt verlangt die Subventionierung der Profite auf Kosten der ganzen Gesellschaft. Alle sollen zahlen, damit sich die Taschen von wenigen füllen.

Und die Regierung - ohne jede Bilanz über die Steuerreform - erzählt uns weitere Märchen. "Wir haben an erster Stelle in diesem Land ein Investitionsproblem. Dem muss die Steuerpolitik gerecht werden." (Joschka Fischer) Die Gewinnsteuern zu senken, um Investitionen zu fördern, ist Propaganda vom gleichen Kaliber wie die Lüge, dass die USA in den Irak einmarschieren mussten, um Massenvernichtungswaffen zu zerstören. Sie waren genauso wenig da, wie die Investitionen.

Es gibt keinen Kapitalmangel. Es gibt einen riesigen Kapitalüberschuss. Und es gibt für das Kapital keinen Mangel an Investitionen, sondern gewaltige Überkapazitäten, die durch die bisherigen Investitionen aufgetürmt wurden. Die Senkung der Investitionen ist gerade ein Mittel, um gesunkene Renditen wieder anzuheben.

V

Sozialabbau dient in erster Linie dem Lohnabbau

Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe hat aber in erster Linie einen anderen Sinn. Sie ist vor allem ein Mittel, um die Löhne nach unten zu drücken. Nach einem halben Arbeitslosigkeit ist es zumutbar für einen Lohn in Höhe der Arbeitslosenunterstützung zu arbeiten. Die Förderung des Lohndumpings gehört zum Kern der Arbeitslosenversicherung. Je geringer also die Arbeitslosenunterstützung, desto größer ist der Zwang für weniger Lohn zu arbeiten.

Aber noch bedeutender als das ist die Sozialhilfe. Dann sie fängt die Kürzungen bei Arbeitslosen bis zu einem gewissen Grad auf. Sie ist im Gegensatz zu Arbeitslosenunterstützungen bedarfsorientiert. Sie von daher ein Maßstab zur Beurteilung der Löhne.

Die Sozialhilfe wirkt wie ein Mindestlohn. "Die deutsche Sozialhilfe wirkt als Lohnuntergrenze, die die Schaffung von Jobs verhindert." So Prof. Dr. Hans-Werner Sinn vom Ifo-Institut in München. Die Sozialhilfe steht im Visier, weil sie den Fall der Löhne nach unten bremst.

Wie hoch müssten die Löhne sein, um angeblich Jobs zu schaffen?

Prof. Sinn spricht davon, dass die niedrigsten Löhne wie in den USA bei etwa 30% der durchschnittlichen Löhne liegen müssten.

Das wären etwa 870 Euro brutto für Männer und 660 Euro brutto für Frauen.

Die vorherrschende Theorie des Kapitas besagt, dass die Arbeitslosigkeit ihre Grundursache in der Höhe des Lohns hat. Arbeitslosigkeit drückt aus, dass die Löhne noch nicht auf das Niveau gefallen sind, zu dem die Käufer der Arbeitskraft bereit sind, die Ware Arbeitskraft zu kaufen. Der "Gleichgewichtslohn" wäre dann der Lohn, zu dem letzte Arbeitskraft verkauft wäre. Um die Löhne auf dieses angeblich zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit notwendige Hungerniveau abzusenken, müssen alle Hindernisse durch sogenannten "Arbeitsmarktreformen" abgeschafft werden.

Eine dieser "Reformen" ist die Senkung der Sozialhilfe.

Deshalb verlangt der deutsche Industrie- und Handelskammertag die 25%-ige Kürzung der Sozialhilfe. Das bedeutet 3,75 Euro am Tag für Ernährung. Stoiber schließt sich an. Der DIHK ist die Dachorganisation aller Unternehmen in Deutschland. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung unter Führung des SPD-Mitglieds Wiegard fordert die 30%-ige Kürzung der Sozialhilfe. Im Handelsblatt, der größten Wirtschaftszeitung Deutschlands, verlangte der Freiburger Finanzwissenschaftler Raffelhüschen sogar die Halbierung der Sozialhilfe. (Handelsblatt 23.08.2001) Das bedeutet 2,50 Euro am Tag für Ernährung.

Aber solange die Sozialhilfe für Erwerbsfähige nicht wie in den USA abgeschafft ist, ist die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands nicht vollständig hergestellt.

Aber die Arbeitslosigkeit ist nicht die Folge zu hoher Löhne, die durch zu hohe Unterstützungen abgesichert werden, sondern die Folge der Logik der Kapitalverwertung, die immer mehr Menschen überflüssig macht und ihren Lebensstandard mit steigender Produktivität tendenziell senkt, statt hebt.

Die USA bestechen durch ihre Niedriglöhne und ihre bescheidenen Sozialleistungen. Und dennoch ist die Arbeitslosigkeit hier mindestens genauso hoch wie in Deutschland. Hier wie dort ist die Hauptursache die Produktion für Profit, in der der technische Fortschritt als Mittel benutzt wird, um möglichst viele Arbeitskräfte überflüssig zu machen.

Lohnsenkungen sind umgekehrt Folge der wachsenden Arbeitslosigkeit, nicht ihre Ursache.

Genauso wie die Gewinnsteuersenkungen, dienen Lohnsenkungen ausschließlich dazu, die Profite des Kapitals auf Kosten der ganzen Gesellschaft anzuheben. Die Arbeitslosigkeit steigt trotzdem.

Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe ist nur ein Zug in einem Schachspiel. Nicht umsonst beklagen die Arbeitgeberverbände den mangelnden Mut der Regierung. Sie verlangt, noch weiterzugehen. Sie redet vom ersten Schritt, dem weitere folgen müssen. Eben z.B. die Senkung der Sozialhilfe.

Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe bereitet die Senkung der Sozialhilfe vor.

Die LohnarbeiterInnen sollen möglichst im Dämmerschlaf überrascht werden. Deswegen wird uns die Senkung der Sozialhilfe als Kampf gegen Mißbrauch, gegen Schmarotzer, gegen Scheinarbeitslose verkauft.

Oder als Maßnahme des Kampfs gegen Bürokratismus, obwohl doch der Bürokratismus immer mehr zunimmt. 

Die LohnarbeiterInnen müssen begreifen, dass sich Angriffe auf die Sozialhilfe und auf Arbeitslose in erster Linie gegen sie selbst richten. Sie sind gemeint, wenn die Arbeitslosen geprügelt werden!

Eine Bundesregierung, die entgegen ihren Versprechungen die Arbeitslosenhilfe streicht, ist auch dazu bereit, die Sozialhilfe entgegen ihren Versprechungen zusammenzustreichen. Sie bereitet die Kürzung der Sozialhilfe vor, die Stoiber verlangt.

Was soll das, wenn DGB-Chef Sommer nach einem Mittagsessen mit dem "lieben Gerhard", wie er ihn nennt, erklärt, die Proteste würden jetzt ruhen, weil die "gröbsten Klötze" weg seien.

Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und die Verwandlung von Arbeitslosen in SH-Empfänger sind die gröbste Klötze. Sie sind nicht weg. Der DGB-Bundesvorstand fällt den Arbeitslosen und damit allen LohnarbeiterInnen in den Rücken, aus Solidarität mit der Regierung, die von den Parteifreunden gestellt wird und in sozialpartnerschaftlicher Verbundenheit mit dem Kapital.

Wir brauchen eine bundesweite große Demonstration von Hunderttausenden, um dagegenzuhalten, nicht ein paar kalkulierte Kleckerproteste. In anderen Ländern gibt es Generalstreiks. Ist der DGB überhaupt noch wettbewerbsfähig?

V

Ist die Agenda 2010 ein Angriff auf den Sozialstaat?

Nur auf der Oberfläche. Sie ist in erster Linie ein Angriff auf die LohnarbeiterInnen, also auf Menschen, nicht auf den Staat.

Dieser Zusammenhang müsste herausgearbeitet werden, damit sich Menschen angesprochen fühlen. Nur so könnte man klar machen, dass sich die Angriffe in erster Linie nicht gegen die arbeitslosen LohnarbeiterInnen, sondern gegen alle LohnarbeiterInnen richten.

Zweifellos senkt die Kürzung von Arbeitslosenunterstützung die Binnennachfrage. Insoweit erzeugt das mehr Arbeitslose. Aber die Unternehmen haben kein Interesse daran, dass der Staat Arbeitslosen Geld gibt, damit diese Waren kaufen können und den Umsatz der Unternehmen erhöhen. Das unterstellt, dass das Kapital eigentlich nicht an Sozialabbau interessiert sein könnte. Doch das Kapital ist nicht der heimliche Verbündete der Arbeitslosen. Es ist das Interesse des Kapitals an höheren Profiten, das in seinen Augen die Senkung der Arbeitslosenunterstützung notwendig macht.

Auch die Ursache der gegenwärtigen Krise ist nicht zu geringe Nachfrage. Der "SPD-Rebell" Ottmar Schreiner:" Ursache für die ökonomischen Probleme ist zu allererst die schwache Nachfrage auf dem Binnenmarkt." (metall 5/ 2003, 9)

Die Krisen entspringen dem Rhythmus der Kapitalverwertung. Immer wieder wird auf der Jagd nach Renditen über die zahlungsfähige Nachfrage hinaus produziert. Und zwar unabhängig davon, wie hoch die Nachfrage ist. Die Profitwirtschaft produziert gesetzmäßig Krisen, in den die Überkapazitäten vernichtet werden, ebenso wie überschüssiges Kapital vernichtet wird und überschüssige Arbeitskraft stillgelegt wird.

Das Kapital hat die Produktivität nicht im Griff. Es reißt ein, was aufgebaut wurde. Krisen zeigen eine ungeheuere Ineffizienz, die merkwürdigerweise die Folge einer ungeheueren Effizienz ist. Diese aber wird durch das Profitinteresse gebremst und blockiert.

Lohnsenkungen, Steuersenkungen und auch Senkung der Lohnnebenkosten sind Mittel, um dem Fall der Profitraten entgegenzuwirken. Besonders natürlich in der Krise.

Mit dem Kampf gegen Arbeitslosigkeit, der Bekämpfung von Fehlanzeize, die die Faulheit erzeugen usw., hat das alles nicht zu tun. Es ist Desinformation und Propaganda, um das Eigeninteresse des Kapitals an Profit zu vertuschen.

VI

Lohnnebenkosten zu hoch?

"Wir müssen jetzt die Lohnnebenkosten senken, damit in unserer Volkswirtschaft wieder mehr in Beschäftigung investiert wird." (Fischer FR 07.05.2003, 2) Jeder Prozentpunkt geringerer Arbeitgeberbeiträge bringt höhere Profite in Höhe von 7,5 Mrd. Euro. Die Agenda 2010 dient dem Ziel, die sogenannten Lohnnebenkosten zu senken. Mit der Begrenzung der Behzugsdauer des Arbeitslosengelds sollen die Beiträge zur Arbeitsverlosenversicherung gesenkt werden, mit der Ausgliederung des Krankengelds z.B. sollen die Beiträge zur Krankenversicherung gesenkt werden usw..

Die Senkung der Lohn"neben"kosten kann nicht unser Ziel sein. Es bedeutet, dass wir uns für die Senkung von Renten, Gesundheitsleistungen und Arbeitslosenunterstützungen eintreten müssten, also uns selbst bekämpfen müssten. Der DGB will ebenfalls die Lohnnebenkosten senken. Vor allem die "versicherungsfremden Leistungen" sollen aus der Sozialversicherung herausgenommen und vom Staat bezahlt werden. Z.B. die Familienversicherung in der Krankenversicherung usw.. Das ist eine Falle, denn das Kapital entzieht doch dem Staat durch seine Steuerreformen das Geld, das notwendig wäre, um die einer (privaten) Versicherung fremden Leistungen aus der Sozialversicherung zu bezahlen. Wenn Sommer zur Finanzierung die Erhöhung der Mehrwertsteuer verlangt, verlangt er, dass Arbeitslose und Rentner die Profitsteigerung für die Arbeitgeber finanzieren. Sozial völlig ausgewogen.

Es ist das Kapital selbst, das die Krise der Sozialversicherung erzeugt. Das soll vertuscht werden.

Beispiel Rentenversicherung. Die Krise der Rentenversicherung ist keine Folge der demographischen Entwicklung, sondern der Tatsache, dass das Kapital immer weniger Menschen braucht und denen, die braucht, die Löhne kürzt. Das erschüttert die Einnahmen der Sozialversicherung und erhöht ihre Ausgaben.

Vor allem die Arbeiterrentenversicherung ist seit 1993 in der Krise, weil die Industrie immer weniger ArbeiterInnen braucht und immer mehr in Rente schickt. Deswegen wurde der Rahmen der Sozialversicherung zu eng, nicht wegen der sinkenden Geburtenrate und der Alterung der Bevölkerung.

Die männlichen Arbeiter wurden seit 1993 auch gar nicht älter, sondern sie sterben früher.

Die Angestellten dagegen werden älter, aber in der Angestelltenversicherung gibt es keine solche Krise wie in der Arbeiterrentenversicherung. (vgl. Roth, Nebensache Mensch, Frankfurt 2003, 432-439)

Immer weniger Arbeitende ernähren immer mehr RentnerInnen. Das stimmt. Ja und?

Immer weniger Landwirte ernähren immer mehr Menschen. Die steigende Produktivität macht es möglich.

Immer weniger ArbeiterInnen ernähren immer mehr Wasserköpfe, Verwaltungen, Vorstände, Politiker und sogenannte Dienstleister.

Das geht doch auch. Dass Menschen immer älter werden, ist ein Fortschritt. Er kann aus dem Reichtum finanziert werden, der durch die höhere Produktivität erwirtschaftet wird. Aber hier sitzt das Kapital drauf.

Wenn die demograohische Entwicklung die Ursache ist, folgt daraus, dass die Kinderlosen schuld sind und deshalb zur Kasse gebeten werden müssen. Das ist Quatsch. Denn vor allem die Arbeiter, die Kinder in die Welt setzen, sehen ihre Kinder mehr und mehr vor verschlossenen Werkstoren stehen. Das Kapital braucht gar nicht so viele Kinder. Sie sind ihm lästig.

Falsche Ursachen werden angegeben, um Bereitschaft zu erzeugen, die Kürzungen zu billigen. bzw. den Hebel bei den falschen d.h. bei sich selbst oder den Kinderlosen anzusetzen.

Die Krise der Rentenversicherung kann dadurch angegangen werden, dass die finanzielle Grundlage der Rentenversicherung verbreitert wird, nicht in dem sie verkleinert wird. Eine einheitliche Rentenversicherung für alle ist das Gebot der Stunde, nicht die wachsende Zersplitterung und Privatisierung der Sozialversicherung.

Die Kürzungen der Renten hat nicht den Zweck, die demographische Entwicklung aufzufangen.

Sondern:

a) Boden für private Versicherungen zu verbessern. Je schlechter es den Sozialversicherungen geht, desto mehr erweitern sich die Märkte für die privaten Versicherungen.

b) Vor allem Beiträge senken, um Gewinne zu steigern.

Sonst nichts.

VII

Investitionen

"Wir müssen jetzt die Lohnnebenkosten senken, damit in unserer Volkswirtschaft wieder mehr in Beschäftigung investiert wird." (Fischer FR 07.05.2003, 2) Dasselbe haben wir schon mit der Steuerreform gehört.

Müssen wir also dafür eintreten, dass die Unternehmen mit Steuersenkungen und Lohnsenkungen mehr Gewinne machen, damit sie endlich wieder investieren, um Arbeitskräfte einzustellen?

Joschka Fischer verkündete: "Die entscheidende Frage ist, was wir tun, um in unserem Land wieder Wachstum und Beschäftigung zu erreichen. Dazu brauchen wir Investitionen, das ist die zentrale Herausforderung." (FR 07.05.2003)

Man wundert sich.

Von 1970 bis 2000 wurden von den Unternehmen in Produzierendem Gewerbe, Handel und Verkehr in Westdeutschland fast 5.000 Milliarden DM investiert. Bevor die 5.000 Mrd. investiert wurden, gab es fast keine Arbeitslosen. Danach aber 2,5 Millionen.

Arbeitslosigkeit ist unter der Regie des Kapitals das Produkt von Investitionen. Investitionen machen es möglich, dass immer weniger LohnarbeiterInnen immer mehr Waren herstellen und von daher die Nachfrage nach Arbeitskraft sinkt.

Gleichzeitig führt die steigende Produktivität, d.h. die Verwirklichung von Investitionen dazu, dass die Renditen fallen. Die Menschen, die die Gewinne erzeugen, werden wegrationalisiert. Immer höhere Warenberge werden erzeugt und relativ dazu reduziert das Kapital die Kaufkraft, die in Löhnen und Arbeitslosenunterstützungen besteht. Es kann nicht anders, weil es nur an seinem Profit interessiert ist.

Wenn aber die Renditen fallen und sich die inneren Märkte relativ zur Produktion verengen, nimmt die Investitionsmüdigkeit zu.

Die Investitionsquote nimmt seit den 70er Jahren ab.

Folge ist ein wachsender Kapitalüberschuss.

Der Reichtum, der erzeugt wurde, fließt eben relativ immer weniger in produktive Investitionen und immer mehr in Finanzanlagen.

Von 1991 bis 2000 wuchs das Kapital in Finanzanlagen von 7.821 Mrd. DM auf 20.880 Mrd. DM. (Nebensache Mensch, Seite 242) oder um 12.000 Mrd. DM, das Sachanlagevermögen (ohne Wohnungsbau) wuchs nur um 1.800 Mrd. DM auf 4.500 Mrd. DM.

Der Kapitalüberschuss fließt überwiegend in Kredite, den Kauf von Wertpapieren oder in Aktien d.h. in Firmenübernahmen, Käufe von Beteiligungen oder Spekulation sowie in Luxuskonsum. Der Kapitalüberschuss war die Grundlage der Aktienhysterie und des Börsencrashs, der folgte. Er ist die Grundlage der ungeheuer gestiegenen Verschuldung des Staates, der Unternehmen und der Konsumenten. Er lähmt immer mehr die produktiven Investitionen, statt sie zu fördern.

Das Kapital selbst ist die Schranke der Investitionen, nicht ein angeblich durch Lohnarbeiterinnen d.h. durch Sozialausgaben und überhöhte Löhne verursachter Kapitalmangel. Es ist gerade die steigende Produktivität und der gestiegene Reichtum, die unter der Regie des Kapitals zur Bedrohung werden.

Die allgemein beklagte Wachstumsschwäche ist ein Produkt der Logik der Kapitalverwertung.

Und je widersinniger die Folgen dieser Logik sind, desto aggressiver müssen die LohnarbeiterInnen dafür verantwortlich gemacht werden.

Denn nur auf ihre Kosten können die Profitraten wieder angehoben werden, die den einzigen Lebenszweck des Kapitals darstellen.

Hier sitzen die Bremser und Blockierer, die menschliche Produktivkräfte immer weniger nutzen können, die den Fortschritt behindern, für die Menschen Nebensachen sind und die Geldvermehrung die Hauptsache.

Warum also dafür eintreten, dass sich die Profite durch Opfer der Lohnarbeiterinnen und Arbeitslosen vermehren, wenn das für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit überhaupt nichts gebracht hat und auch nichts bringen kann?

VIII

Wichtigstes Mittel Kampf gegen Arbeitslosigkeit ist Arbeitszeitverkürzung

Von 1991 bis 2000 nahm das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen mit der technischen Revolution um 3 Mrd. Stunden ab.

Das macht eine drastische Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden möglich. Dadurch könnte die Arbeitslosigkeit erheblich abgemildert werden. Die LohnarbeiterInnen brauchen das, aber das Kapital will es nicht, weil es seine Profite vermindert.

Die Produktivität wächst. Die Nachfrage nach Arbeitskraft sinkt.

Menschen werden freigesetzt. Das ist eigentlich erfreulich.

Aber die Produktivitätsfortschritte werden nicht über Arbeitszeitverkürzung weitergegeben. Statt wird die Arbeitszeit verlängert.

IX

Versprechen der nachhaltigen Konsolidierung

Wie immer die Agenda 2010 umgesetzt wird. Sie ist schon überholt, wenn sie beschlossen wird. Es gibt keinen Stillstand. Eine nachhaltige Konsoldierung ist möglich, weil das Kapital mit steigender Produktivität die Basis des Lebensstandards der breiten Masse immer mehr untergräbt. Das stürzt die Sozialversicherung und die Staatsfinanzen immer tiefer in die Krise.

Alle Rezepte zur Senkung von Sozialleistungen und Löhnen, die bisher von den Doktoren des Kapitals und der Bundesregierung angewandt wurden, haben nichts genutzt. Sie hatten ja auch nur den Zweck, die Profite zu erhöhen und dem Fall der Profitraten entgegenzuwirken.

Und genau das Ziel der Profitvermehrung als Selbstzweck ist die Ursache der Arbeitslosigkeit. Alle Mittel, die Profite anzuheben, vergrößern die Arbeitslosigkeit tendenziell.

Es handelt sich nicht um eine falsche Politik, sondern um die den Interessen des Kapitals entsprechende Politik, also die für das Kapital richtige Politik.

Das Kapital und seine Vertreter können nicht umdenken und diese Politik wechseln. Sie können nur Reformen vorschlagen, die der Kapitalverwertung nutzen, sonst keine.

Was sie daran hindern kann, ist nur die energische Mobilisierung der LohnarbeiterInnen und der Arbeitslosen. Je mehr sie ihre eigenen Interessen selbst in die Hand nehmen, die Verantwortung für sich selbst übernehmen, desto eher können sie dem Kapital etwas entgegensetzen.

Andererseits stellt sich aber auch die Frage, was ein System taugt, in dem die steigende Produktivität, in dem der technische Fortschritt dazu führt, dass sich der Lebensstandard der breiten Mehrheit verringert und ihre Existenzunsicherheit erhöht. Wer sich der Logik dieses Systems unterwirft, kämpft letztlich gegen sich selbst. Wollen wir das?

X

Schluss

Schröder sagte in Neu-Anspach:" Wer glaubt festzuhalten an dem, was althergebracht ist, der verkennt die Herausforderungen."

Genau.

Althergebracht ist zu glauben, dass die Probleme dieser Gesellschaft gelöst werden können, wenn man nur den Moloch der Privatinteressen des Kapitals und der Reichen befriedigt.

Die Hoffnungen, die sich darauf richten, sind realitätsferne Träumereien.

Wir brauchen radikale Reformen. Aber nicht Reformen, die nur dem Zweck dienen, die Sonderinteressen der Kapitalbesitzer zu befriedigen.

* Die Sozialversicherung muss komplett umgebaut werden, nicht zugunsten der Allianz, sondern gegen sie.

* Es geht nicht mehr so weiter, sagt die Regierung. Das stimmt. Es geht nicht mehr so weiter, dass die Produktivität, statt Quelle wachsenden Wohlstands der arbeitenden Menschen zu sein, dazu genutzt wird, um den Lebensstandard derjenigen immer weiter abzusenken, die den Reichtum produzieren. Dazu genutzt, die Arbeitszeit zu verlängern, statt sie zu verkürzen, dazu genutzt wird, den Konkurrenten mitsamt ihrer Beschäftigten in den Ruin zu treiben, statt allen zu gute zu kommen.

* Es geht nicht mehr so weiter, dass Menschen Nebensache sind und die Renditen von Einzelunternehmen die Hauptsache. Besitzstände müssen angegriffen werden, vor allem die Besitzstände derer, die lieber Milliarden auf den Finanzmärkten verspekulieren, als dazu beizutragen, dass es überall Ganztagsschulen gibt, dass Kindergärten gebührenfrei sind, dass es genügend billigen Wohnraum gibt.

* Diejenigen, die alle Reichtümer erzeugen, sollen auch ordentlich leben können. Wir brauchen Mindestlöhne oberhalb der Sozialhilfe, keine Billiglöhne, von denen man seine Miete nicht mehr zahlen kann. Wir brauchen das nicht in erster Linie aus volkswirtschaftlichen Gründen, nicht wegen der Kaufkraft, damit Waren gekauft werden können, sondern um der Tendenz entgegenzutreten, dass das Kapital die Löhne immer weiter unter das Existenzminimum senkt.

* Die Produktivität muss den LohnarbeiterInnen in Form von Arbeitszeitverkürzung zugute kommen.

Wenn man damit Schluss machen will, dass Arbeitslose zum Sündenbock gemacht werden, dann muss man sich damit beschäftigen, wie dieses Wirtschaftssystem, wie die Kapitalverwertung die Probleme erzeugt, die sie ihren Opfern anlastet. Nur dann kann man sich letztlich offensiv verteidigen.

 
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Stand:12. Dezember 2012