Rede von Rainer Roth für das Rhein-Main-Bündnis
auf der Kundgebung des VdK.“ Frankfurt boomt – die Armut auch“ am
17.11.2007
Mittagessenzuschuss reicht nicht – Regelsätze
erhöhen!
Siemens kauft für 10 Mrd. Euro eigene Aktien
zurück, um sie dann zu vernichten. Der Konzern weiß mit den 10 Mrd. nichts
Besseres anzufangen. Wir wüssten es, glaube ich, schon.
Auch die Deutsche Bank, Daimler und Eon kaufen
ihre Aktien für insgesamt weitere 20 Mrd. Euro zurück. Wie wäre es, auch nur
einen Teil dieser überschüssigen 30 Mrd. Euro dem Staat zur Verfügung zu
stellen, um z.B. die allseits beklagte Kinderarmut zu lindern? Aber auf solche
Ideen kommen die Eigentümer dieser Konzerne nicht.
Sie wollen selbst profitieren. Sie lassen
Aktien aufkaufen und vernichten, weil die Dividende auf die verbleibenden Aktien
um so höher ist, je weniger Aktien in Umlauf sind. Familie Siemens z.B. kann
jetzt mit wesentlich mehr Millionen Euro Dividende rechnen als den lumpigen 72,5
Mio. Euro, die sie 2006 eingestrichen hat. Mehr Geld fürs Nichtstun - das ist
die Devise. Und BILD hat in diesen Fällen nichts dagegen.
SPD und CDU haben den Konzernen mit massiven
Senkungen der Gewinnsteuern Milliarden geschenkt. Ab 2008 kommen weitere
Milliarden dazu. Die Steuergeschenke werden nicht zuletzt an die Aktionäre
ausgeschüttet. Und die haben dann mehr Spielkapital für die Wetten auf
Finanzprodukte, die ihre Vermögensverwalter für sie abschließen. Solche Art
Steuersenkungen brauchen Siemens und die Deutsche Bank, wir brauchen sie nicht.
Noch brummt die Konjunktur. Doch z.B. für
Erwerbslose sollen nur ein paar Brosamen abfallen, wie z.B. die mickrige Verlängerung
des Alg I für Ältere, die auch noch aus Mitteln von Alg II finanziert wird.
Auch für RentnerInnen und Rentner hat man nichts übrig.
Alle Welt hält die wachsende Kinderarmut für
einen Skandal. Doch die regierenden Heuchler denken nicht an das Naheliegende, nämlich
die von ihnen selbst vollzogene erhebliche Kürzung der Regelsätze für
Schulkinder rückgängig zu machen. SPD und CDU 2005 haben die Regelsätze von
7-14-jährigen Schulkindern zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte auf das
Niveau von Säuglingen abgesenkt. Sie haben ihnen damit den Wachstumsbedarf
aberkannt. Daran wollen sie trotz Aufschwung weiterhin festhalten. Sollen
Schulkinder ihr Wachstum einstellen?
Hartz IV deckt für Schulkinder unter 14
allenfalls die Hälfte ihres Energiebedarfs, wenn sie sich gesund ernähren
sollen. Hartz IV hat Schulkindern aus Armutsfamilien gegenüber der früheren
Sozialhilfe 20% der Mittel für Essen und Trinken entzogen. An diesen großartigen
Errungenschaften der Agenda 2010 wollen die selbsternannten Kinderfreunde nicht
rütteln.
Was wäre nötig? Der Regelsatz von Kindern
unter 14 muss auf mindestens 300 Euro erhöht werden. Das fordert das
Rhein-Main-Bündnis mit seiner Kampagne "Ein Hartz für Kinder", aber
auch z.B. die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.
Müntefering vertröstete uns mit einer Prüfung
der Kinderregelsätze im Zuge der Auswertung der Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe 2008. Die Auswertung dauert bis 2010. 2010 aber ist die nächste
Krise da und da kann man sowieso keine Regelsätze erhöhen. Was für ein
schlitzohriger Fuchs war doch dieses sauertöpfische Urgestein.
Drei Jahre nach Einführung von Hartz IV wird
erst in drei Bundesländern, in Frankfurt und jetzt auch im Main-Kinzig-Kreis
das Mittagessen bezuschusst. Die hessische Landesregierung rafft sich unter dem
Druck des Protestes auf. Aber möglichst langsam. Mittagessenzuschüsse werden
zum Mittel des Stimmenfangs. Die Bezuschussung des Mittagessens mildert jedoch
die Mangelernährung mit Hartz IV nur ab, und das auch nur für einen Teil der
Kinder. Am besten wäre es außerdem, das Mittagessen kostenlos anzubieten.
Die Strompreise steigen, sollen aber immer im
Regelsatz enthalten sein. Die Preise für Lebensmittel steigen, sollen aber
schon im Regelsatz enthalten sein. Usw. Nötig wäre wenigstens eine Anpassung
der Regelsätze an die Inflation. SPD und CDU lehnen eine Anpassung der Regelsätze
an die Inflation ab. Erwerbslose, aber auch RentnerInnen sollen nach ihrer
Meinung jedes Jahr real weniger haben.
Für das Kapital, das diese Parteien politisch
vertreten, ist das das Mindeste, wenn man die Regelsätze schon nicht um 25%
senken kann, wie es die Arbeitgeberverbände und auch die CDU wollen.
Aber die Inflationsanpassung reicht nicht. Der
Regelsatz eines Alleinstehenden muss von 347 Euro auf mindestens 500 Euro
angehoben werden. 3,81 Euro am Tag für Essen und Trinken reichen nicht. 3,29
Euro in der Woche für öffentliche Verkehrsmittel reichen auch nicht. 1,89 Euro
pro Woche für den Besuch eines Cafes oder einer Kneipe auch nicht. 500 Euro pro
Monat ist eine sehr bescheidene Forderung. Zusammen mit der Warmmiete läge man
immer noch unterhalb der von der Bundesregierung anerkannten Armutsrisikogrenze.
Von der Erhöhung des Eckregelsatzes bei Hartz
IV würden auch RentnerInnen profitieren, weil er ebenso für die Grundsicherung
im Alter gelten würde. Das hat wachsende Bedeutung, weil immer mehr Menschen in
die Altersarmut getrieben werden.
Aber schon die Forderung nach Erhöhung der
Regelsätze um die Inflationsrate wird von der Regierung im Namen der sozialen
Gerechtigkeit abgelehnt. Es wäre unsolidarisch gegenüber den RentnerInnen.
Unter sozialer Gerechtigkeit verstehen CDU und SPD, dass es allen gleich
schlecht gehen soll, damit es den Dividendenempfängern noch besser gehen kann.
Wer sich mehr erkämpfen will, gilt als unsolidarisch gegenüber denen, die
kuschen. So versucht man RentnerInnen gegen Erwerbslose aufzuhetzen und alle
Lohnabhängigen gegen Lokführer. Solidarität ist etwas Anderes. Erwerbslose
und RentnerInnen, SchülerInnen und beschäftigte Lohnabhängige müssen
zusammenhalten gegen die herrschende Selbstbedienerklasse.
Es ist kalt in Deutschland. Sorgen wir dafür,
dass uns wärmer wird.
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