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Einführung eines flächendeckenden
gesetzlichen Mindestlohns - durchaus auch ein Sieg gegen die Kapitalseite!
Aber:
Warum nur 8,50?
Warum flächendeckend erst ab 2017?
Warum so viele Ausnahmen?
Kommentar von Rainer Roth
Der aktuelle Koalitionsvertrag von CDU und SPD sieht vor,
einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro in West und Ost einzuführen. Doch
flächendeckend erst ab dem 1.1.2017, nicht ab dem 1.1.2014. Tarifverträge mit
geringeren Löhnen gelten bis 1.1.2017 weiter. Auch Tarifverträge, die bis
dahin neu abgeschlossen werden, können den Mindestlohn noch unterschreiten. Nur
Beschäftigte, die nicht tariflich bezahlt werden, erhalten „schon“ ab dem
1.1.2015 den gesetzlichen Mindestlohn.
Jahrelang hat sich die Gesamtheit aller Arbeitgeberverbände,
unterstützt von den meisten DGB-Gewerkschaften sowie von CDU, CSU, SPD, FDP und
Grünen gegen die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns gewehrt. Das hat
dem Kapital unter dem Deckmantel der Tarifautonomie einen enormen
Konkurrenzvorteil in Europa verschafft. Irgendwann musste diese Bastion fallen.
Jetzt geht der Kampf auf dem Boden des gesetzlichen
Mindestlohns weiter. Das Kapital und die Große Koalition haben das Ziel, ihn möglichst
gering anzusetzen, ihn möglichst spät einzuführen, damit die Inflation ihn
schmälert, und möglichst zahlreiche Ausnahmen zuzulassen. „Bei der
gesetzlichen Ausgestaltung des Mindestlohns wird es darauf ankommen, mehr
Differenzierungen und Abweichungen vom Mindestlohn zu ermöglichen. Hier wird
sich die Wirtschaft engagiert in den Gesetzgebungsprozess einbringen“ (BDA
PM 063/2013, November 2013). Wenn man sieht, mit welcher Wut alle Verbände der
Arbeitgeber selbst gegen einen mickrigen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro
mobil machen, wird klar, dass das Kapital eine Niederlage erlitten hat. Lohnerhöhungen
für 6-7 Millionen Arbeitskräfte vermindern den Profit. Wenn es also nicht mehr
möglich ist, einen gesetzlichen Mindestlohn zu verhindern, dann soll es einer
sein, der den Schaden für die Profite möglichst gering hält. Die Große
Koalition ist den Arbeitgebern dabei schon sehr weit entgegengekommen. Ein Ende
ist noch nicht abzusehen.
Die Arbeitgeber und ihr Anhang fahren die wildesten
Argumente auf, um LohnarbeiterInnen zu beweisen, dass ihnen Lohnerhöhungen
schaden oder wenigstens nichts nutzen. Man war immer schon „nie auf den
eigenen Vorteil“ bedacht, sondern nur auf das „Wohlergehen der
MitarbeiterInnen“, denen man doch mit Armutslöhnen „den Einstieg in
Arbeit“ (BDA) erleichtern will..
„Keine Arbeitsplätze gefährden“
„1,8 Millionen Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel“
- titelt am 21.11. 2013 die FAZ. Das hätten die Fachleute von Schäuble
ausgerechnet. Belegen muss man das nicht. Angstmache regiert. Auch Merkel hatte
vor einem Mindestlohn gewarnt, der Arbeitsplätze gefährden könnte. Gefährden
nicht auch Tarifverträge und alle Lohnerhöhungen Arbeitsplätze? Sollte man
nicht auch die Konkurrenz zwischen Unternehmen abschaffen, die ja ebenfalls
Arbeitsplätze gefährdet? Wie sieht es mit Produktivitätssteigerungen aus, die
Arbeitsplätze gefährden, und mit Krisen? All diese Dinge gefährden Arbeitsplätze
selbst von Lohnabhängigen, die nur fünf Euro die Stunde verdienen.
Arbeitskräfte werden nur beschäftigt, wenn ihre Arbeit
Unternehmensprofite verspricht. Darum geht es, nicht um Arbeitsplätze als
solche. Je niedriger der Lohn, desto höher die Profite und desto größer die
Bereitschaft, Arbeitskräfte zu beschäftigen. Je mehr Probleme „die Schwächsten
am Arbeitsmarkt“ (BDA) haben, von ihrem Lohn die Miete zu zahlen, desto eher
haben sie eine Chance auf einen „Platz zum arbeiten“. Das Kapital ist rücksichtslos
gegen Grundbedürfnisse von LohnarbeiterInnen. Die Arbeitgeber sind nur
Sachwalter von Arbeitsplätzen, die ihnen Rendite und Konkurrenzvorteile
verschaffen. Das Kapital verkauft sein Interesse, möglichst Löhne unter dem
Existenzminimum zu zahlen, als Interesse der LohnarbeiterInnen selbst. Es geht
darum, sich das Vertrauen der Beschäftigten und den „sozialen Frieden“ zu
erhalten. Und weil das nicht ausreicht, muss die Drohung, Hunderttausende zu
entlassen, nachhelfen. Oder Originalton BDA: „Der vorgesehene gesetzliche
Mindestlohn ab 2015 wird … bedauerliche Bremsspuren auf dem Arbeitsmarkt
hinterlassen.“ Die Drohung mit Arbeitslosigkeit ist das wichtigste
Argument des Kapitals. Aber man will auch noch nachweisen, dass Lohnerhöhungen
für untere Schichten der Lohnarbeiter ihnen auch so gar nichts bringen.
8,50 Euro unverschämt, da internationaler
Spitzenwert?
“Deutschland würde sich mit einem Mindestlohn von
8,50 Euro weltweit ganz vorne einreihen“ erklärte Arbeitsmarktforscher
Kluve (FAZ 29.10.2013) Ein Lohn von 8,50 läge bei 62 % des mittleren Lohnes (Medians)
aller Arbeitnehmer. Zu den unteren 50 % der Lohnempfänger gehören in
Deutschland z.B. 7,7 Millionen schlecht bezahlter Minijobber und Millionen
Teilzeitbeschäftigte, die es in diesem Umfang anderswo nicht gibt. Nur deshalb
kann ein Armutslohn von 8,50 Euro zum internationalen Spitzenlohn umgefälscht
werden. Der Experte Kluve glaubt, dass 8,50 Euro ein höherer Lohn sind als 9,43
Euro in Frankreich. Entscheidend ist nicht das Verhältnis des Mindestlohns zum
mittleren Lohn, sondern das Verhältnis des Mindestlohns zu den Kosten der
Grundbedürfnisse von Lohnarbeitern. Und die werden mit 1.040 Euro netto nicht
ausreichend gedeckt. Vor allem, wenn man berücksichtigt, dass in vielen Großstädten
Warmmieten von 500 Euro für Alleinstehende oft nicht leicht zu finden sind.
Einen Lohn als Spitzenlohn zu bezeichnen, mit dem man gerade mal die Miete
zahlen und kein einziges Kind ernähren kann, ist dreist.
8,50 Euro hilft nicht gegen Armut?
Das Statistische Bundesamt kam zu der großartigen
Erkenntnis, dass ein gesetzlicher Mindestlohn Erwerbstätigen nicht helfen würde.
Es seien eh nur 7,7 Prozent der Erwerbstätigen armutsgefährdet. Als armutsgefährdet
gilt, wer weniger als 60 % des mittleren Lohns hat. Die Armutsgefährdung würde
mit 8,50 Euro nicht abnehmen. Dass auch schon eine Lohnerhöhung auf mickrige
8,50 Euro für Millionen Lohnarbeiter eine gewisse Erleichterung darstellt,
spielt für Statistikexperten keine Rolle.
8,50 Euro hilft nicht aus Hartz-IV heraus?
Unter den 1,3 Mio. „Aufstockern“ sind 900.000, die
nicht vollzeitbeschäftigt sind. Die 400.000 Haushalte von Vollzeitbeschäftigten
erhalten überwiegend Hartz IV, weil ihre Löhne nicht ausreichen, um ihre
Kinder zu unterhalten oder einen arbeitslosen Partner. In Wesentlichen könnten
nur die 80.000 Single-Haushalte dem Jobcenter möglicherweise den Rücken kehren
(FAZ 19.11.2013). Alle diejenigen, die behauptet haben, alle Aufstocker könnten
mit 8,50 Euro (oder auch mit zehn Euro) aus Hartz IV ausscheiden, haben den
Experten des Kapitals eine Steilvorlage geboten. Das können sie jetzt genüsslich
widerlegen. Was soll der Mindestlohn, so fragen sie, wenn er in den meisten Fällen,
nicht mal aus Hartz IV herausführt?
„Mindestlohn macht die meisten Haushalte ärmer“
(FAZ 5.11.2013)
Wie bitte? Klar, reicher macht es sie nicht, aber ärmer?
Zwei Experten des DIW haben das herausge“forscht“. Die Stundenlöhne
derjenigen, die unter 8,50 Euro verdienen, würden zwar um durchschnittlich 41 %
steigen. Real aber würden sie sinken, da 500.000 Arbeitsplätze (warum nicht
1,8 Mio.?) „akut gefährdet“ seien. Berücksichtige man in Modellrechnungen
nicht nur die Arbeitsplatzverluste, sondern auch durch Mindestlöhne verursachte
Preissteigerungen, dann hätten auch die ärmsten Haushalte mit dem Mindestlohn
ein niedrigeres „Realeinkommen“ als ohne. Da der Mindestlohn zu
Reallohnsenkungen führe, sollte man doch lieber die Finger von Mindestlöhnen
lassen, lautet die Botschaft.
„Ein gesetzlicher Arbeitslohn führt zu
Lohndumping“ (FAZ 26.11.2013)
Ein weiterer hochgebildeter Experte hält es ebenfalls für
falsch, dass der gesetzliche Mindestlohn „die Situation der Arbeitnehmer
verbessert“. Er geht davon aus, dass er zu Lohnsenkungen in
nicht-tarifgebundenen Bereichen führt. Sein Maßstab ist der „richterliche
Mindestlohn“. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) erklärt einen Lohn für
„sittenwidrig“, wenn er mehr als ein Drittel unter dem untersten Tariflohn
oder ortsüblichen Lohn liegt. Der unterste „sittenwidrige“ Lohn in der
Metallbranche von NRW wäre aber schon 9,45 Euro. 8,50 Euro als gesetzlicher
Mindestlohn führe also zu Lohnsenkungen in allen Branchen, deren
„richterlicher Mindestlohn“ über dem gesetzlichen liegt. Der gesetzliche
Mindestlohn bedeute Lohndumping.
Lohndumping ist jedoch nicht die Folge der
Unterschreitung eines im Einzelfall richterlich festgelegten sittenwidrigen
Lohns. Lohndumping ist die Folge des Konkurrenzkampfs der Unternehmen
untereinander, die Folge des Einzelinteresses an Profit. Das BAG fördert
Lohndumping statt ihm entgegenzuwirken. Ein Lohn z.B. von 5 Euro gilt nicht als
sittenwidrig, wenn der Tariflohn 7,50 Euro beträgt. Das BAG hat solchen
Dumpinglöhnen schon immer den Segen des Rechtsstaates gespendet. Der
gesetzliche Mindestlohn dagegen schränkt Lohndumping bei unteren Löhnen ein.
Warum sonst sind zum Beispiel die Wachunternehmen für einen gesetzlichen
Mindestlohn von 8,50 Euro und halten diesen sogar noch für zu niedrig ?(FAZ
22.11.2013).
„Gewerkschaften fürchten den Mindestlohn“ (FAZ
19.11.2013)
Sie wollen die Tarifverträge aufrechterhalten, in denen
sie niedrigeren Löhnen als 8,50 Euro zugestimmt haben. Das sind immerhin 528
von 4.500 Ende 2012 bestehenden tariflichen Lohngruppen (FR 28.11.2013). Das
wird von der BDA im Namen der Tarifautonomie begrüßt. Die alte Opposition der
IG Metall gegen den gesetzlichen Mindestlohn kommt jetzt in der Befürchtung zum
Tragen, dass die Anpassung des Mindestlohns durch eine Kommission, die
gewissermaßen Tarifverhandlungen simuliert, dem entgegenwirken könnte, höhere
Lohnforderungen in der Metallbranche zu stellen. Wenn Gewerkschafter in dieser
Kommission einer Erhöhung des Mindestlohns um 2 % zustimmen, wie sollen sie
dann in der Metallbranche eine Forderung von 6 Prozent begründen? Die
hochbezahlten leitenden IG-Metall-Funktionäre fürchten um die Sonderstellung
der Metallbranche. Doch solange es Tarifverhandlungen in Tarifbezirken gibt, hängt
die Höhe der Forderungen vom Willen und der Kampfkraft der dort Beschäftigten
ab, nicht von einer siebenköpfigen Mindestlohnkommission.
Mehr als ein mickriger gesetzlicher Mindestlohn von 8,50
Euro ist mit den Parteien des Kapitals, die die Große Koalition bilden, derzeit
offensichtlich nicht herauszuholen. Dennoch sehen wir für den Prozess vom
Koalitionsvertrag zur Gesetzgebung Raum für zusätzliche Forderungen:
1)
Unterstellt man von 2015 bis 2017 eine jährliche Inflationsrate von 2 %,
sind 8,50 Euro Anfang 2015 nur noch 8,33 Euro und Ende 2017 nur noch 7,80 Euro
„wert“. Damit ist der Mindestlohn 2017 etwa auf britisches Niveau abgesenkt
(2013: 7,60 Euro). Das Kapital soll in Deutschland auch beim gesetzlichen
Mindestlohn Vorteile, nicht etwa Nachteile im Konkurrenzkampf haben. 2017 wird
mit einem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro voraussichtlich jeder
alleinstehende Vollzeiterwerbstätige, dessen Warmmiete bei etwas mehr als 300
Euro liegt, einen Hartz-IV-Anspruch haben. Das Regelsatzniveau steigt nämlich
ebenso wie die durchschnittlich zu zahlende Warmmiete. Wir fordern den
gesetzlichen Mindestlohn ab 1.1.2014.
2)
„In letzter Minute“ (FR 28.11.2013) haben Merkel und Gabriel
einen Passus in den Koalitionsvertrag eingeführt, der weitreichende Ausnahmen
vorsieht, ohne sie genau zu bezeichnen. Die Arbeitgeberverbände waren wieder
mal erfolgreich. Möglicherweise gilt der Mindestlohn nicht für Millionen
Minijobber, für Langzeitarbeitslose usw. Wir
fordern den gesetzlichen Mindestlohn flächendeckend und ohne Ausnahmen.
3)
Diejenigen, die das Lohnniveau bis jetzt niedrig gehalten haben, die
Tarif“partner“, machen der Bundesregierung Vorschläge für zukünftige
„Anpassungen“ ab 1.1.2018. Die Arbeitgeber, die Gegner des Mindestlohns, können
also die Kommission blockieren. Wir fordern: Der Gesetzgeber soll den
gesetzlichen Mindestlohn selbst festsetzen. Die Kommission ist überflüssig.
4)
Verstöße gegen den gesetzlichen Mindestlohn müssen strafbar sein. Sie
dürfen nicht nur als „Ordnungswidrigkeit“ verfolgt werden. Wir fordern: Der
Bruch des Mindestlohngesetzes muss erschwert und nicht erleichtert werden.
5)
Ein gesetzlicher Mindestlohn, da offizielles Existenzminimum, darf nicht
auch noch mit Lohnsteuern staatlich abgeschöpft werden. Wir fordern: Der
gesetzliche Mindestlohn muss
lohnsteuerfrei sein.
Unsere Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn von
mindestens zehn Euro, lohnsteuerfrei, hat nichts an Aktualität verloren. Sie
wird mit der Großen Koalition aktueller. Sie ist die wirkliche Gegenposition
gegen den kastrierten Mindestlohn, den CDU und SPD vorbereiten.
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