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Glosse von Wissenschaftssjournalist Holdger Platta:
Wir alle sind gierig! Ach ja?
Zum intellektuellen Niedergang der Plasberg-Shows "Hartaberfair"
Täuscht mein Eindruck, oder werden die Talkshows unter Plasberg immer
schwachsinniger?
Letzte Woche, am 20. Januar, hatte man sich nochmals die Finanzkrise
vorgeknöpft, unter dem Titel "Genug ist noch zu wenig - Warum regiert nur
die Gier?". "Gier" als Hauptursache des weltweiten Crashs 2008/9?
Nun, zweierlei war während der Sendung festzustellen: erstens wurde die
Finanzkrise aufs "rein Menschliche" reduziert, auf Psychologie, auf
Simpel-Psychologie nebenbei, ergo auf "Gier", sonst nichts. Und wenn
als einzige Jutta Ditfurth wieder und wieder gegen dieses infantile
Herunterpsychologisieren anging und Systemursachen ins Gespräch zu bringen
versuchte, hatte sie gleich die Übermacht der gesamten Runde gegen sich
(Ausnahme: Schauspieler Harald Krassnitzer), an der Spitze "Moderator"
Plasberg, der um jeden Preis das Thema seines Abends retten wollte und seine
netten Einspielfilmchen.
Und zweitens unterzog man den Begriff der "Gier" einer wundersamen
Behandlung, und zwar mithilfe einer Doppel-Operation, die gleich zwei
Vorgehensweisen am Patienten, dem Thema "Gier", ausprobierte - zwei
miteinander unvereinbare Operationsversuche im übrigen (was auf die Schnelle
nichtmal die tüchtige Ditfurth entlarvte).
Gemeinsames Merkmal dieser beiden widersprüchlichen Verbal-Operationen: der
Begriff "Gier" wurde auf alles und jeden angewendet. Einmal mit
negativem Akzent - dies die erste Quasselstrategie -, aber so, daß dadurch
jeder Verursacher der Finanzkrise nunmehr seine Hände in Kollektivschuld zu
waschen vermag. Da nahm man also zum Beispiel den kleinen Sparer moralisch beim
Schlafittchen, der etwas mehr von seinem Geld auf dem Bankkonto will als nur den
Inflationsausgleich. Der Psycho-Logik dieser Sendung zufolge also ein Sünder
wie der kapitale Großbetrüger, der Milliardenbeträge von Millionen von
Menschen verzockt hat. Ich meine: mit gleicher Logik hätte man da auch die
"Freßgier" der halbverhungerten Untertanen im vorrevolutionären
Frankreich gleichsetzen können mit der Völlerei Ludwig des Vierzehnten, der
zwischen den vielen Gängen seines Frühstücks gleich auch noch dutzendweise
hartgekochte Eier zu sich nahm. Oder man fiel über die Armenbevölkerung in
Berlin her, die bei der Eröffnung eines Elektromarktes am Alexanderplatz,
heißgemacht von der Werbung (= "Die ersten einhundert Kunden bekommen
alles umsonst!"), wie die Verrückten auf die Waren stürzten. Selbst das
Baby, das hungrig nach der Mutter schreit, ließ man bei dieser Sendung nicht
aus! Auch dieses nur von einem beseelt, von der "Gier"! Was ja im
Umkehrschluß fragen läßt: wird die globale Finanzwelt ergo von Säuglingen
regiert, die immer noch gepeinigt werden von einem heftigen Mutterkomplex? Und
im übrigen gäbe es ohnehin ein angeborenes Kapitalismus- oder Raffgier-Gen?
Die Finanzkrise deshalb Auswirkung eines menschlichen Grunddefektes, nicht aber
Folge eines veränderbaren Finanzssystems?
Tenor all dieser "Argumente" mithin: wir alle sind Sünder! Und
schon damit geriet die spezifische "Gier" der globalen Finanzjongleure
aus dem Blick, der spezifische Charakter und die spezifischen Folgen dieser Art
"Gier": nämlich betrügerisch und weltweit Millionen von Menschen um
ihre Existenzgrundlage gebracht zu haben, um ihre Arbeitsplätze und um ihr
erspartes Geld. Und völlig wegpsychologisiert waren damit die nach wie vor
existierenden Systemursachen für diesen Crash!
Doch vollends vorbei mit der Genauigkeit war's, als urplötzlich
"Gier" sogar zum positiven Antrieb umgedeutelt wurde - dieses die
Brabbelstrategie Nummer zwei, ganz im Gegensatz zur soeben skizzierten
Negativbewertung der "Gier". Da wurde auf einmal jedes Bedürfnis,
jeder Wunsch, ja, noch jede Freude zur "Gier". So konnte es denn
passieren, daß Moderator Plasberg seinem Gast Jutta Ditfurth vorhielt, sie habe
sich doch auch bei ihrer letzten Lesung in Hamburg über die dreihundert
Zuhörer gefreut. Man faßt es nicht! Freude gleich Gier, Leseveranstaltung
gleich Massenbetrug! Fehlte eigentlich nur noch der Vorwurf, Ditfurths Freude -
sprich "Gier"! - habe ebenfalls Millionen von Menschen um ihre
Ersparnisse gebracht, Ditfurth sei bei Vorstellung ihres Buches "Zeit des
Zornes - Streitschrift für eine gerechte Gesellschaft" selber
betrügerisch zu Werke gegangen, und als Folge ihrer Lesung hätten weitere
Millionen von Menschen ihre Arbeitsplätze verloren, ihre Ersparnisse, die
sichere Grundlage ihrer Existenz. Nun, vielleicht ließ man dieses
"Argumente" ja aus, weil dadurch allzudeutlich der absurde Schwachsinn
dieser Gleichsetzerei zutagegetreten wäre.
Kurz: mit Ausnahme von Jutta Ditfurth und Harald Krassnitzer debattierte
diese Runde, unter der Führerschaft Plasbergs, sämtliche
Milliarden-Euro-Verbrecher aus der globalen Finanzwelt hart, aber unfair in die
Kollektivschuld aller hinein, selbst in die Welt der Säuglinge und der
Arbeitslosen auf dem Berliner Alexanderplatz. Oder man argumentierte
"Gier" zur Naturkonstante des Menschen schlechthin empor, zur
"Gier", zu der auch die unschuldigste Freude zählt sowie die
menschliche "Neugier" (jawohl, selbst dieses
Gleichsetzungs-"Argument" trug einer in dieser Talkshow vor!).
Fazit also? - Nun, wenn es einigermaßen rational zugehen würde in unserer
"Medien-landschaft", dann hätte jetzt eigentlich eine Person um ihren
Posten zu bangen: der Verantwortliche dieser Sendung, Frank Plasberg mit seinem
medialen Humbug. Oder ist nun der Schreiber dieser Zeilen zu "gierig"?
Zu "gierig", weil er aufs heftigste die Beendigung eines derartigen
Unfugs wünscht?
Nur eines habe ich bei dieser Talkshow gelernt, dank eines höchst eigenen
Einfalls: daß im Verb "Regieren" dito "Gier" als
Wortbestandteil steckt. Themenvorschlag also für die nächste Plasberg-Show:
was hat mit "Gier" die jetzige Regierung zu tun? Vielleicht denkt
darüber ja mal der eine oder andere FDP-Politiker nach, in einem Hotelbett zum
Beispiel…
Holdger Platta
Wissenschaftsjournalist
© Holdger Platta, Füllegraben 3, 37176 Sudershausen, marggraf-platta@web.de
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