Die Vorstellung davon, dass alle Menschen vom „Freihandel“ zwischen den Nationalökonomien profitieren („komparativer Vorteil“) beruht auf der grundsätzlichen Unterstellung, dass Arbeitsteilung und daraus resultierende Erhöhung von Arbeitsproduktivität allen zugute kommt.1
In dieser Arbeitsteilung – und dem darauf begründeten freien Austausch – sollen alle das tun, „was sie am besten können“. Dass Arbeitsteilung – sofern nicht die Rollen in dieser Arbeitsteilung „nach Lust und Laune“ getauscht werden können – Herrschaft begründet und für eine sehr ungleiche Verteilung der Ergebnisse des Produktivitätsfortschritts sorgt, ist keinen Gedanken wert.
I.
Nehmen wir als erstes die grundlegenden gesellschaftlichen Arbeitsteilungen:
- Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern
- Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land
- Arbeitsteilung zwischen Kopf- und Handarbeit
Wenn Frauen und Männer das tun, „was sie am besten können“, wenn in Stadt und Land das produziert wird, was hier am besten produziert werden kann, wenn Kopf- und HandarbeiterInnen das tun, „was sie am besten können“, dann sollen alle angeblich gleichermaßen im Austausch davon profitieren. Irgendetwas scheint da aber nicht zu stimmen. Tatsächlich profitieren die Männer mehr als die Frauen, die Stadt mehr als das Land und der KopfarbeiterInnen mehr als die HandarbeiterInnen. Die „Rollenverteilung“ in all diesen Arbeitsteilungen ist – von Ausnahmen abgesehen – festgeschrieben. Ein Rollentausch findet nicht oder kaum statt. Der Austausch produziert auf diese Weise vor allem eins: Ungleichheit! Und er reproduziert damit zugleich die bestehende Arbeitsteilung.
II.
Gleiches gilt auch für die internationale Arbeitsteilung zwischen den Nationalökonomien. Diejenigen Nationalökonomien, die Autos, Maschinen, Anlagen etc. produzieren und exportieren profitieren offensichtlich mehr von der internationalen Arbeitsteilung und dem „Freihandel“, als diejenigen Nationalökonomien, die etwa überwiegend Bananen und andere landwirtschaftliche Erzeugnisse produzieren und exportieren, weil sie das angeblich -„am besten können“. Jedenfalls sind „Freihändler“ mit Industrieprodukten deutlich reicher.2 Auf dieser Grundlage versprechen diese „Freihändler“ denen, die das Nachsehen haben, sie könnten auch zu reichen Industrieländern werden, wenn sie nur möglichst freien Handel zuließen … auf der Basis der bestehenden Arbeitsteilung, versteht sich!
Über IWF und Weltbank wird den ärmeren Ländern der „Freihandel“ sogar aufgezwungen … nicht unbedingt mit bewaffneter Gewalt, wohl aber mit Hilfe von Kreditbedingungen. Wollen diese Länder einen Kredit haben, so müssen sie mehr „Freihandel“ gewähren, ihre Märkte öffnen. Wozu das in den letzten Jahrzehnten etwa in Südamerika geführt hat, ist bekannt. Mit gutem Grund haben daher viele Länder Südamerikas das Ansinnen der USA, eine „Freihandelszone“ einzurichten, zurückgewiesen.3
Nebenher bemerkt:
Die „segensreiche“ Konkurrenz des „Freihandels“ wird ja auch gern als Wettbewerb bezeichnet, so als handele es sich dabei um eine sportliche Veranstaltung. Schauen wir uns also mal im Sport um, z.b. Fußball. Der Wettbewerb findet streng unterteilt in verschiedenen Ligen statt. Aber in jeder Liga wird nach den gleichen Regeln gespielt. Einmal im Jahr kommt es dann zum „großen Fressen“, dem Pokalwettbewerb. Dieses große Fressen bedeutet, dass die Großen die Kleinen fressen. Mannschaften aus ganz unterschiedlichen Ligen treffen aufeinander und spielen nach den gleichen Regeln. Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist das Ergebnis natürlich vorprogrammiert.
Oder glaubt wirklich irgend jemand ernsthaft, ein kleiner Amateurverein aus einer unteren Liga könne bei gleichen Regeln das Endspiel im Olympiastadion erreichen und dies auch noch gewinnen?
Ähnliches könnte man auch darstellen am Beispiel des Boxsports. Aus guten Gründen aber wird hier auf so eine Art „Pokalwettbewerb“, an dem sich Boxer aus allen Gewichtsklassen beteiligen und gleichen Regeln boxen, verzichtet. Das vorhersehbare „Gemetzel“ will man dann wohl doch niemandem zumuten.
Merke: Wer wirklich „Chancengleichheit“ für ungleiche „Wettbewerber“ wollte, der müsste gerade ungleiche Regeln einführen. Das gilt im Sport wie in „der Wirtschaft“! Die reichen kapitalistischen Industrieländer sind aber – angeblich ums Wohl aller besorgt – so sehr vom „Freihandel“ besessen, dass sie ihn auch unter sich voran bringen wollen. (Partner auf Augenhöhe sozusagen, die in der gleichen „Liga“ spielen.) Da gibt es noch zu viele unterschiedliche „Regeln“, die angeglichen und angepasst werden sollen. TTIP, ein Freihandelsabkommen zwischen USA und Europa, soll dazu beitragen. (Zwischen Europa und Kanada wurde man sich bereits über so ein Abkommen einig.)
Was soll TTIP bringen?
III.
TTIP soll Wachstum bringen und das Wachstum Lohnarbeitsplätze. Was da an Wirtschaftswachstum produziert werden soll, nimmt sich ausgesprochen bescheiden aus; selbst bei Annahme der günstigsten Zahlen, die zu erwarten seien. Alle Zahlen, die genannt werden, sind aber vor allem eins: unsichere Spekulation! Wie jedes Handelsabkommen, kann auch dieses lediglich die Rahmenbedingungen für Kapitalverwertung verbessern. In welchem Umfang Umsätze, Profite größer werden, welche Anzahl an Lohnarbeitsplätzen entstehen wird, dass kann niemand mit Sicherheit voraussagen. Aber mit solchen Vorhersagen wird „die öffentliche Meinung“ gefüttert.
Den „Massen“ wird erklärt, was das in Zahlen (Wachstum und Arbeitsplätze) bringen wird oder soll und darüber wird dann diskutiert. Es soll nicht diskutiert werden über die Rahmenbedingungen selbst, die die Wohltäter der Menschheit da ausbrüten; die werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit beraten. Neben der Angleichung von Standards geht es da vor allem um „Investitionsschutz“ für Unternehmen. Befreiung des Kapitals von „unzumutbarer bürokratischer Belastung“, gleiche Freiheit eben für Kostenreduzierung in Produktion und Handel in den USA und Europa.
Würde man die jeweils kostspieligsten Produktionsbedingungen der USA und Europas – kostspielig durch Auflagen in Arbeitsschutz, Umweltschutz, KonsumentInnenschutz – „verallgemeinern“ und der anderen Seite aufzwingen, dann würde sich folgendes Resultat einstellen: Waren, die den verlangten Standards nicht entsprechen, könnten nicht angeboten und gehandelt werden. Folglich würde die entsprechende Produktion verschwinden. Das wäre schon mal schlecht fürs versprochene Wachstum! Mehr Wachstum wäre dann überhaupt nur dadurch möglich, dass „Drittländern“ der Marktzutritt zu dieser „Freihandelszone“ erschwert würde, sofern deren Waren ebenfalls den festgelegten Standards entsprechen müssten.
Beide Seiten, USA und Europa, wollen ihren Export in den jeweils anderen Markt aber ausdehnen, nicht einschränken. Dazu müssen die Hürden, die zu hoch sind, niedriger werden; also auf beiden Seiten zu hohe Standards gesenkt, auf niedrigerem Niveau angeglichen werden. Das erlaubt mehr Waren den Zugang zu dem jeweils anderen Markt und das ermöglicht obendrein höhere Profitraten der Unternehmen, weil kostspielige Auflagen für die Sicherheit von Produktion und Produkt wegfallen. So kann mehr Wachstum gehen und so wünscht sich das „die Industrie“, die selbstverständlich mit am Verhandlungstisch sitzt.
IV.
Selbst wenn das BIP in der geschätzten Größenordnung steigen würde und mehr Lohnarbeitsplätze entstünden, würde das nichts aussagen über die zu erwartende Verteilung des vermehrten Reichtums! Steigerung des BIP und Schaffung von mehr Lohnarbeitsplätzen sagt ja nichts darüber aus, welche Einkommen wie steigen. Darüber wird natürlich ebenfalls nichts vereinbart! Man plant schon, aber was plant man?
Die überzeugten Freihändler behaupten ja, dass „Freihandel“ den Wohlstand aller vermehrt. Wenn sie davon so überzeugt sind, warum schreiben sie dann nicht in ihr Abkommen:
Damit
- das BIP um x Prozent steigt
- die Durchschnittseinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen um x Prozent
- die Durchschnittslöhne aus abhängiger Beschäftigung um x Prozent.
schließen wir folgendes Abkommen…..
Die Ideologen des freien Marktes, die sich gern als Realisten und Pragmatiker inszenieren, wissen, dass der freie Handel das nicht garantiert! Vor allem nicht die Erhöhung der Durchschnittslöhne!
Die Erreichung solcher Ziele wäre eher das zufällige Resultat der Konkurrenz, der sie das überlassen wollen.
Was sie allerdings sicher wissen ist, dass der „Freihandel“ gut fürs Kapital ist; die von möglichst vielen kostspieligen Auflagen befreite Konkurrenz die optimale „Umgebung“, in der sich Kapital mit möglichst hoher Rendite verwerten lässt, also wachsen kann.
Offenbar funktioniert es jedenfalls recht ordentlich, wenn das BIP steigt, mehr Lohnarbeitsplätze entstehen und dabei die Einkommen immer weiter auseinander klaffen, sogar immer mehr „Arbeitsplätze“ mit Armutslöhnen entstehen, von denen LohnarbeiterInnen kaum oder gar nicht leben können. Auch dann sind diese Ökonomen aber im „Plansoll“, und sie können weiter predigen, dass der „Wohlstand durch Wachstum“ irgendwann auch die Ärmsten erreichen wird!! Nicht nur Lohnarbeiterinnen in den USA und Europa bekommen diese Predigten seit etlichen Jahren zu hören und sollen sich in Geduld und Verzicht üben! Dieses Auseinanderklaffen von Einkommen, dies Wachstum von „Niedriglohnsektoren“ und Armut hat mit den gesetzlich (und teilweise auch noch tariflich) fixierten Rahmenbedingungen für Kapitalverwertung zu tun, womit wir wieder bei TTIP wären. Was da substanziell vereinbart werden soll an Angleichungen von Standards und „Investitionsschutz“ läuft exakt auf diese Praxis raus:
Steigerung des Wachstums, mehr Lohnarbeitsplätze bei wachsenden Einkommen aus Vermögen und Unternehmertätigkeit.
Schrumpfende individuelle Einkommen aus Lohnarbeit schaden diesem Wachstum ja nicht, solange nur ausreichend mehr Lohnarbeit entsteht! Wenn die Summe der Niedriglöhne für mehr Kaufkraft sorgt, dann ist „volkswirtschaftlich“ alles in bester Ordnung; Umsätze und Profite können wachsen!
Mit dem verlangten „Investitionsschutz“ soll die Sache fürs Kapital rund werden! Man will nicht nur die eigenen Interessen durchsetzen, sondern sie auch langfristig absichern. Das „risikofreudige Unternehmertum“ geht zwar gern Risiken ein, wenn aber der Schadensfall eintritt, dann möchte man durch „die Allgemeinheit“ (Staat, Steuern) abgesichert sein! Das gilt eben nicht nur für Banken, sondern auch für „systemrelevante“ Industrie! Sollten also in der Zukunft diesen tragenden Säulen der Volkswirtschaft finanzielle Nachteile dadurch entstehen, dass auf Grund des gesellschaftlichen Drucks doch wieder neue, „nicht verkraftbare“ Auflagen für Arbeits-, Konsumenten- und Umweltschutz gemacht werden, dann verlangt man Entschädigung, eben „Investitionsschutz“.
Über all diese „guten Absichten“ wird am liebsten unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt.
Und wenn das Ganze fertig und verabschiedet ist, dann bleiben sowieso alle bei dem, „was sie – arbeitsteilig – am besten können“:
- die einen legen nur ihr Geld an
- die anderen leiten die Unternehmen
- und die meisten arbeiten unter deren Kommando bzw. werden von den Hunden gebissen.
Peter Trotzig
Oktober 2014
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1 Diese Vorstellung geht zurück auf David Ricardo, der meinte, „dass unsere Genüsse durch bessere Arbeitsteilung erhöht werden sollten, d.h. dadurch, dass ein jedes Land solche Güter erzeugt, für welche es sich infolge seiner Lage, seines Klimas und seiner anderen natürlichen oder künstlichen Vorteile eignet, und dass man sie für die Güter anderer Länder austauscht …“ (zitiert nach: Christian Girschner, „Politische Ökonomie und Weltmarkt“, Papyrossa Verlag Köln 1999, S. 143)
2 Für viele Länder kommt es jedoch noch schlimmer! „Das, was sie am besten können“, wir ihnen auch noch genommen, ihre Landwirtschaft wird zerstört. Die Öffnung der Märkte sorgt dafür, dass die mit Subventionen unterstützte landwirtschaftliche Überproduktion der entwickelten kapitalistischen Länder (Reis, Tomaten z.B.) kleine landwirtschaftliche Warenproduktion in den wenig entwickelten Ländern zerstört.
3 Wann immer es Länder geschafft haben, Anschluss zu erreichen, „eine Liga aufzusteigen“ (Deutschland, Japan, Korea, jetzt China) geschah dies unter Ausnutzung des freien Welthandels und Schutz der „heimischen Märkte“; also durch Verletzung der Regeln des „Freihandels“.